Aschenputtel in den Pampas

Die Rolle Eva Peróns im Peronismus

von Daniela Altmayer de Reveand

Evita - für die einen ist sie mythische Mutterfigur der ganzen Nation, für die anderen eine machthungrige Hure, die die sozialstaatliche Rhetorik für ein Leben in Saus und Braus usurpiert hat. Kein Thema ruft in Argentinien kontroversere Reaktionen hervor - aber kalt läßt Evita niemanden.

 

Die Lebensgeschichte Eva Peróns ist eine außerordentlich bewegende Geschichte. Ihre Herkunft als uneheliches Kind aus einer am untersten Rand der Gesellschaft angesiedelten Familie, ihre künstlerische Karriere als Mädchen vom Lande, das in die große Stadt kommt - all das erinnert an altbekannte Motive der Trivialliteratur. Der märchenhafte Aufstieg zur First Lady und später zum Massenhysterie hervorrufenden Phänomen. Die Legendenbildung um Evita wird abgerundet durch ihren frühen Tod auf dem Gipfel ihrer Karriere, und dies im wiederum legendenhaft konnotierten Alter von 33 Jahren.

 

Eva Perón ist die erste Frau, die in der lateinamerikanischen Politik eine eigenständige, bedeutende Rolle spielt. Dies hat zum einen die Folge, daß sie mit anderen Maßstäben gemessen wird als ihre männlichen Kollegen, daß sie auf ganz bestimmte Widerstände in den Reihen der traditionell-machistischen Gesellschaft Argentiniens trifft, zum anderen geht aber von ihr auch eine emanzipatorische Signalfunktion auf die Frauen in ihrem Land, wenn nicht sogar in ihrem Halbkontinent aus. Besonders an der Mythenbildung um Eva Perón läßt sich ablesen, daß es sich hier um ein Novum in der lateinamerikanischen Geschichte handelt.

 

Die Rolle Eva Peróns im Peronismus

 

Evita war ein unerläßlicher Stützpfeiler des peronistischen Machtgefüges. Sie mobilisierte die Massen für die peronistischen Ideen, sorgte für die alltäglichen Kontakte zu den Menschen. Ihr Job war auch die Säuberung hinter den Kulissen: Peróns Gegner wurden sofort erkannt und ausgeschaltet. Sie hielt ihm den Rücken frei. Evita war ein wesentliches Instrument für die Gleichschaltung verschiedener Gesellschaftsbereiche (Gewerkschaften, Frauenorganisationen, Wohlfahrt). Wenn Populismus als Multi-Klassen-Allianz gedeutet wird, so stand Evita für die unterprivilegierten Massen, Juan Perón für Mittelschicht und Militär. Das war das Erfolgsgeheimnis des argentinischen Peronismus: zwei Integrationsfiguren, in denen sich verschiedene Bevölkerungsgruppen wiederfinden, und die sogar sich widersprechende Konzepte vertreten konnten.

 

Eva Perón brachte als First Lady eher ungünstige Voraussetzungen mit, dafür aber hatte sie Ehrgeiz und starke Willenskraft. Ihr ganzes Wesen war von starker Emotionalität geprägt, die sich in zwei Gesichtern äußerte: das der Wohltäterin und das der knallharten Machtpolitikerin. Sie war die erste Frau, die als First Lady im Präsident-schaftswahlkampf (1946) präsent war. Ihre Reise als Präsidentengattin und offizielle Stellvertreterin Peróns nach Europa (Spanien, Frankreich, Italien, Schweiz) ist der erste Schritt zur eigenständigen politischen Figur. Aus Dona Maria Eva Duarte de Perón wird ‘Evita’, die First Lady entwickelt sich zur ‘presidenta’.

 

Eva Perón stand an der Spitze einer gigantischen Wohltätigkeitsstiftung, der Inbegriff der Umverteilungsidee im paternalistischen Staat: Sie trieb Millionen ein, um sie dann unter den Bedürftigen zu verteilen. Krankenhäuser, Schulen, Kinderheime, Altersheime, Heime für unverheiratete Frauen mit Kindern wurden eingerichtet, Ferienanlagen und Arbeiterviertel gebaut. Bei aller möglichen Kritik an der Art, wie das Geld eingetrieben wurde - nämlich durch eine Zwangsverpflichtung zur Abgabe eines bestimmten Prozentsatzes vom Lohn - war das aktive Sozialarbeit mit sehr konkreten Leistungen. So wurde Eva zum Engel der Armen, zur allumfassenden Mutterfigur im paternalistischen Peronismus. So wurde der peronistische Mythos „Santa Evita“ geschaffen. Die Fundación Eva Perón als regierungsunabhängige Einrichtung wird durch Evita zum Instrument der Indoktrinierung.

 

Evitas Kampf für Frauenrechte

 

Was alle intellektuellen, sozialistischen, feministischen Kämpferinnen nicht schafften, macht Eva Perón sich zur Aufgabe - und sammelt damit Stimmen für Perón. „Die zweite Wahl werde ich mit den Frauen gewinnen“ verkündet Perón 1951 und er sollte Recht behalten. In einem peronistischen Ritual verleiht Perón Evita 1947 das Stimmrecht - stellvertretend für alle argentinischen Frauen. Sie erhalten das Wahlrecht „von Peróns Gnaden“, die politischen Rechte für die Frau sollen mit Evita und dem Peronismus identifiziert werden. Die Partido Peronista Femenino (PPF) wird 1949 gegründet, Evita wird Vorsitzende und baut ein Netzwerk an unidades basicas auf, in denen Frauen aller Schichten politische Arbeit lernen und soziale Arbeit für die Fundación Eva Perón leisten. Trotz der Funk-tionalisierung für die Zwecke der Peronisten darf das Demokratisierungspotential dieser Einrichtungen nicht übersehen werden: Frauen wurden am politischen Leben beteiligt. Evita selbst verschaffte sich mit der PPF Rückhalt für ihre Kandidatur als Vizepräsidentin.

 

Nach Peróns Ansicht war die Kontrolle über die Gewerkschaften gleichbedeutend mit der Kontrolle über die Massen. An die Spitze der Confederación General del Trabajo (CGT) setzte er deshalb seinen treuen Gefolgsmann J.M. Freire. Evas Büro befand sich im Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt als Stellvertreterin Peróns. Sie sollte mit ihrer Präsenz das Wirken Peróns in diesem Ministerium vor seiner Wahl zum Präsidenten symbolisch fortführen, also den Kontakt zu den unterprivilegierten Massen halten. Die Peronisierung der Gewerkschaften lag vollständig in der Hand Evitas. Durch ihren ständigen Kontakt zu Arbeiterdelegationen wurde ein direktes Reagieren auf Wünsche, Forderungen, Mißstände möglich, aber auch die direkte Kontrolle. De facto leitet sie das Ministerium für Arbeit und soziale Wohlfahrt. Sie wird aufgrund ihres persönlichen Einsatzes für die Arbeiter stets mit den Verbesserungen der Lebensbedingungen identifiziert, und deshalb von der CGT zur ‘abanderada de los pobres’ ernannt. Daraufhin erhält sie ihre Rolle bei den alljährlichen peronistischen Ritualen am 1. Mai und am 17. Oktober auf der Plaza de Mayo. Der 17.Oktober 1945 kann als Beginn der charismatischen Autorität Peróns gelten, an der Massendemonstration zur Befreiung Peróns hat Evita trotz gegenteiliger Darstellung durch die Peronisten aber noch keinen Anteil. Ihr Charisma entwickelte sich erst später. Dann aber wirkte sie als charismatisches perpetuum mobile für den Peronismus, dessen Besonderheit gegenüber anderen lateinamerikanischen Populismen in diesem charismatischen Herrschafts-Duo begründet liegt: Eva erhält die emotionale Bindung an die Massen, während Perón gleichzeitig einen paternalistischen und repressiven Staatsapparat aufbaut. In ihrer Eigenschaft als ehemalige Radiosprecherin und geübter Mikrofon-Profi sicherte Eva ihrem Mann die Mobilisierung der Massen. Evita bezeichnete sich selbst stets als „Brücke der Liebe“ zwischen Perón und den descamisados, den Hemdlosen, aus der Unterschicht. Das emotionale Feuerwerk ihrer Reden zeigt, wie perfekt sie ihre Rolle ausübte: Das Herrschafts-Duo wurde in Emotion und Vernunft aufgespalten. Evita gab dem Volk die Möglichkeit, seine Emotionen auszuleben, ohne daß Perón direkt betroffen war. Er blieb stets ein Vernunft ausstrahlender, weiser, väterlicher Staatschef.

 

Der Mythos

 

Der Erfolg populistischer Führer beruht nach dem ekuadorianischen Populismus-Forscher De La Torre auf der Mythenbildung. Um die Person Eva Perón wurden drei Mythen aufgebaut: Der ‘weiße’ Mythos der ‘Santa Evita’, der ‘schwarze’ Mythos, symbolisiert durch die Frau mit der Peitsche und der Mythos der Linken: Eva die Revolutionärin. Die Legende von der Heiligen Evita lebt bis heute fort - die Altäre in den casas humildes quer durch Argentinien beweisen das.

 

Der mito negro dagegen wird von den Anti-Peronisten gepflegt. Parallel zur Entperonisierungskampagne der Militärregierung, die Perón abgelöst hatte, erschienen in Argentinien erste antiperonistische Werke über Evita. Sie enthielten alle Gerüchte und Verleumdungen, die bereits vorher in den Kreisen der Oligarchie im Umlauf waren. Versatzstücke des Mythos waren die Begriffe pervertierte Sexualität, verfehlte Mutterrolle, Dominanzstreben und Rachegelüste. Ein berühmter Anti-Peronist, der sie gewöhnlich als „gewöhnliche Prostituierte“ bezeichnete, war Jorge Luis Borges. Eine Geschichte des mito negro, die zur Zeit der ersten Regierung Peróns im Umlauf war, gibt einen Eindruck von den Ängsten, die Eva Perón - hier in der Rolle des Dienstmädchens - in der argentinischen Oligarchie (die Mutter) und im Militär (der Vater) auslöste. Das Kind verkörpert in der Geschichte Argentinien:

 

Ein junges Ehepaar stellt ein Dienstmädchen ein. Die junge Frau steht kurz vor der Entbindung. Das Kind kommt zur Welt. Einige Wochen später überlassen die Eltern das Kind der Obhut des Mädchens, zu der sie inzwischen volles Vertrauen haben, um ins Kino zu gehen. Als sie zurückkommen, ist das ganze Haus hell erleuchtet. Das Dienstmädchen empfängt sie mit feierlichem Ernst im Hochzeitskleid ihrer Herrin und teilt ihnen mit, daß sie eine große Überraschung für sie bereithalte. Sie bittet die beiden ins Speisezimmer, wo sie ihnen ein besonderes Festmahl zubereitet habe. Als sie eintreten, bietet sich den Eltern ein grauenhafter Anblick: In der Mitte des mit größter Sorgfalt gedeckten Tisches erblicken sie ihr Kind, auf einer großen Platte, gebraten und mit Kartoffeln angerichtet. Die unglückliche Mutter verliert die Sprache und wird verrückt. Der Vater, von dem es heißt, er sei Offizier, zieht den Revolver, erschießt das Dienstmädchen und verschwindet.

 

In „Eva die Revolutionärin“, dem Mythos, der die sozialrevolutionären Aspekte der politischen Evita hervorhebt, war sie die Identifikationsfigur für den linken Flügel der Peronisten. Ein Lied der Montoneros, der argentinischen Stadtguerilla der 70er Jahre, enthält die Zeile: „con el fusil en la mano y Evita en el corazón, Montoneros ‘Patria o muerte’ son soldados de Perón“. Schließlich gehört auch der Kult um die tote Evita zum Mythos. Eine eindrucksvolle Schilderung der Irrwege von Evitas einbalsamierter Leiche einschließlich der drei Wachskopien, die quer durch Europa transportiert wurden, gibt Tomas Eloy Martinez.

 

Höhepunkt und Anfang vom Ende

 

Obwohl es eine ‘Grupo Duarte’ als Regierung Evitas innerhalb der Regierung Perón gibt, kann Evita sich nicht durchsetzen, als es um ihre Nominierung als Vizepräsidentschaftskandidatin im Wahlkampf 1951 geht. Das Cabildo Abierto am 22. August 1951 ist der Höhepunkt ihrer politischen Karriere, und gleichzeitig das Ende. Einberufen von der CGT und als großer Triumph für Evita angelegt, gerät der neben dem 17. Oktober 1945 beeindruckendste Massenauflauf der peronistischen Regierungszeit zum Debakel.

 

Evita ist zwar eindeutige Protagonistin, aber die Widerstände in den Reihen der Militärs sind zu groß geworden, die Gerüchte über ihre Krankheit zu laut: Evita darf die angebotene Kandidatur nicht annehmen. Stundenlang hält sie ihre versammelten fanatischen Anhänger beim Cabildo Abierto hin - immer noch auf die Unterstützung Peróns hoffend. Doch von ihm kommt keine Zustimmung. Wenige Tage später verzichtet sie in einer Radioansprache auf die Kandidatur. In der peronistischen Rhetorik nennt sich das dann ‘Dia del Renunciamento’, der Tag wird ironischerweise im Gedenken an die beispiellose Bescheidenheit der ‘einfachen Arbeiterin Evita’ zum Feiertag erhoben.

 

Das ist das Ende der Instrumentalisierung Evitas durch Perón: Der Mythos, den der Peronismus aufgebaut hat, wurde Perón zu gefährlich. Das System benutzte Evita, baute ihren Mythos auf, jedoch in ihrer tatsächlichen Wirkungskraft wurde sie stets gebremst und am Ende demontiert.

 

Die politische Figur Eva Perón diente im Peronismus dazu, unter Einsatz eines ganz bestimmten Frauenbildes Anhängerschaft zu rekrutieren und eine Mythologie zum Zwecke der Identifikation zu schaffen. Durch den spezifischen außerinstitutionellen Charakter ihrer Herrschaft war sie prädestiniert für die Gleichschaltung verschiedener Gesellschaftsbereiche. Sie war sowohl für eine gesteigerte Partizipation als auch für eine gesteigerte Identifikation breiter Bevölkerungsschichten verantwortlich. Grund für die breite Zustimmung des Volkes zum Peronismus war neben der Redistributionspolitik die Identifikation der Ärmsten mit den Herrschenden. Evita war in erster Linie der Garant dafür: Sie eignete sich die Probleme der Unterprivilegierten an und machte sie öffentlich, die descamisados wurden durch sie zu Subjekten des staatlichen Handelns. Evita wirkte im peronistischen Regime als zentrale Mutter- und Integrationsfigur.

 

Sogar heute noch versuchen die Peronisten unter Menem die Integrationskraft von Evita zu beschwören: Sie geben kurz vor den Wahlen eine Münze heraus mit ihrem Konterfei. Die Frau des Gouverneurs Duhalde versucht Wahlkampf à la Evita zu machen - allerdings vergeblich: Der Mythos lebt und wird auch noch ins nächste Jahrtausend nachwirken - aber Evita läßt sich nicht nachahmen.