Auf ins gelobte Land

Das große Geschäft mit der illegalen Einwanderung nach Spanien

von Udo Löffler

Der Tod von 38 marokkanischen Flüchtlingen, die Ende Juni in der Meerenge von Gibraltar ertranken, als sie mit einem Boot nach Spanien übersetzen wollten, bringt das Problem der illegalen Einwanderung wieder in das Bewußtsein der Spanier. Nur 14 Kilometer trennen Afrika vom spanischen Festland. Die Meerenge von Gibraltar ist seit Jahren eine Transitstrecke für Flüchtlinge, die zum größten Teil aus Marokko stammen. Vor allem in den Sommermonaten steigen die Flüchtlingszahlen. Nicht nur das günstige Klima ist dafür verantwortlich, sondern auch die vielen im Ausland beschäftigten Verwandten, die im Sommer in ihre Heimat zurückkehren und Verwandte und Freunde animieren, ihrem Beispiel zu folgen.

 

Allein in der ersten Jahreshälfte 1998 brachte die spanische Küstenwache 270 Boote auf, und knapp 7.000 illegale Einwanderer, davon über 4.000 aus Marokko, wurden in Spanien festgenommen. Doch niemand weiß genau, wieviel Menschen im Mittelmeer auf dem Weg nach Europa ertrunken sind. Offiziell spricht die Guardia Civil, zusätzlich zu den 38 Toten von Ende Juni, für die erste Jahreshälfte 1998 von weiteren 38 ertrunkenen Flüchtlingen, die an der andalusischen Küste oder im Meer aufgefunden wurden.

 

Abdel Hamid Beyuki, Präsident der marokkanischen Immigrantenvereinigung Atime in Spanien, schätzt, daß die Zahl weitaus höher liegt. Er geht von über 1.000 Toten aus - 200 in spanischen und 800 in marokkanischen Gewässern. Durch die ständig zunehmende illegale Einwanderung zum Handeln gezwungen, stellte das spanische Innenministerium im Januar den sogenannten ‘Plan Sur’ vor. Dieser sieht neben der Umzäunung der spanischen Stadt Melilla, die an der marokkanischen Küste gelegen ist und ab Oktober undurchlässig für Flüchtlinge werden soll, auch eine personelle und materielle Aufrüstung bei der Küstenüberwachung vor. Das Innenministerium begründete diese Maßnahmen mit dem Schengener Abkommen von 1995, das die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihre Außengrenzen lückenlos abzusichern.

 

70.000 Mark für eine Überfahrt

 

Eine der dringlichsten Aufgaben nach dem ‘Plan Sur’ und dem Chef der Guardia Civil, Santiago López Valdivielso, ist die Bekämpfung der Schleuserbanden. Daß der illegale Transport von Menschen sehr lohnend ist, zeigt die rasante Entwicklung in diesem Markt: 81 Schleuserbanden wurden dieses Jahr von der Guardia Civil zerschlagen und über 200 Personen festgenommen, darunter auch viele Spanier. Und deshalb, so Valdivielso, konzentriere sich die Polizei schon seit Jahren vornehmlich auf die Bekämpfung dieser Organisationen. Doch die Arbeit der Polizei sei wirkungslos, beklagt Manuel Prieto Montero, leitender Kommissar der Ausländerbehörde, solange man diese Kriminellen nur wegen illegalem Handel mit Arbeitskräften, einem geringfügigen Delikt, das zudem noch schwer zu beweisen sei, belangen kann. Ihm sei nicht bekannt, daß auch nur einer der Festgenommenen von einem Gericht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden sei. Die meisten befänden sich schon nach kurzer Zeit wieder auf freiem Fuß.

 

Wegen des minimalen Risikos und der hohen Gewinnspanne - bis zu 70.000 DM lassen sich mit einer Überfahrt verdienen - würden jetzt auch vermehrt Drogenhändler im attraktiven Geschäft mit der Immigration tätig werden. Prieto forderte den Gesetzgeber auf, dieses Delikt mit Drogenhandel auf eine Stufe zu stellen. Die Schleuserbanden beschränken sich meistens auf den Transport ihrer Kunden zur europäischen Küste. Manche dieser Organisationen bieten aber nach der Überfahrt auch weitere Dienste an, wie die Beschaffung illegaler Arbeit oder die Weiterreise in andere europäische Länder. Ein großer Teil der 20.000 Flüchtlinge, die jedes Jahr über die Meerenge von Gibraltar nach Europa kommen, betrachtet Spanien nur als Transitland nach Italien, Frankreich oder Deutschland. Die Fortsetzung der Reise ist aber auch nicht ungefährlich, da die Flüchtlinge in kleinen Lastwagen, zwischen Waren eingepfercht, durch halb Europa gekarrt werden. Im März 1997 stürzte ein Lastwagen, der mit Flaschen beladen war, bei Girona um, und elf Marokkaner starben an den erlittenen Schnittwunden. Viele der Flüchtlinge führen kleine Mengen Rauschgift mit sich, nicht nur als Startkapital, sondern auch, weil sie ein spanisches Gefängnis der Ausweisung vorziehen. In Marokko erwarten sie wegen Landesverrats mehrmonatige Gefängnisstrafen. Doch nicht nur die Schleuserbanden finden in diesem Wirtschaftszweig ihr Auskommen, sondern auch dem Bootsbauer als Zulieferer. Allein die Hafenbehörde der spanischen Stadt Ceuta vermeldet mehr als 60 laufende Gerichtsverfahren gegen Bootsbauer, die ohne Lizenz und technische Kontrolle die vier bis sechs Meter langen Boote anfertigen. Bei diesen Booten, so der Leiter der Hafenbehörde, Pedro J. Fernández de Barrena, wüßte man nicht einmal, ob sie überhaupt seetauglich seien.

 

Eine grundlegende Voraussetzung, die Flüchtlingszahlen zu senken, davon zeigt sich der Verantwortliche der spanischen Regierung für Ausländerpolitik, José Ramón Ónega López, überzeugt, ist die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern. Eines dieser Länder ist Marokko, dem Abdel Hamid Beyuki vorwirft, daß es mit den Schleuserbanden kooperiere. Kein Lastwagen, der ein Boot zur Küste bringt, würde in Marokko unbemerkt bleiben, und kein Boot könne ohne die Komplizenschaft der Behörden Richtung Spanien abfahren. Will man einer Umfrage Glauben schenken, die in einer marokkanischen Zeitung veröffentlicht wurde, erscheint die Kooperation der beiden Länder noch dringlicher: Demnach sind zwei Drittel der marokkanischen Bevölkerung bereit zu emigrieren.