Missratene Söhne?

Walter Haubrich über die spanischen Nationalismen

Wenn sich Walter Haubrich auf dem abgewetzten Sessel seines Madrider Büros, zwischen Unmengen an Büchern und unzähligen Stapeln an Tageszeitungen niederläßt, findet er kaum Ruhe. Alle paar Minuten klingelt das Telefon: Frankfurt, Barcelona, Buenos Aires ... Über dreißig Jahre geht das schon so, über dreißig Jahre Spanienberichterstattung für die FAZ.

 

Durch Haubrichs Feder floß im 24-Stunden-Takt die jüngste Geschichte der iberischen Halbinsel: der Tod eines Diktators, die Proklamation eines Königs, die Verabschiedung einer Verfassung und die Höhen und Tiefen einer jungen Demokratie... Gunnar Nilsson sprach für Matices mit ihm über seine Sicht der Dinge und wie er die 'Probleme' im Baskendland, in Galicien und in Katalonien interpretiert.

 

MATICES: Herr Haubrich, Sie haben die transición aus nächster Nähe beobachtet. Als die Estatutos de Autonomía begründet wurden und als sich dennoch die ETA-Anschläge in die Demokratisierungsphase weiterzogen, ja sogar verstärkten, welche Eindrücke haben Sie damals am meisten erfaßt? Und wie sehen sie diese Ergeignisse heute im nachhinein?

 

HAUBRICH: Naja, es hat ein bißchen gedauert. Es bestand zunächst die Hoffnung, daß die gewalttätigen Gruppen - vor allen Dingen ETA - auf die Gewalt verzichten würden. Eigentlich kann man sagen, daß die große Mehrheit der ETA-Aktivisten das auch getan hat. Aber es sind einige geblieben. Damals hat sich eine klare Trennung vollzogen zwischen den politisch denkenden und politisch orientierten ETA-Mitgliedern und den Aktivisten, für die Gewaltanwendung etwas mehr war als ein Mittel zum politischen Zweck. Die politisch Denkenden, die zum größten Teil aus 'ETA-político militar' kamen, waren natürlich auch in der ETA, weil sie gegen die Franco-Diktatur waren, nicht nur weil sie einen unabhängigen baskischen Staat mit Gewalt erreichen wollten. Die Aktivisten, die weniger politisch dachten oder weniger politisch denken konnten, waren hauptsächlich in 'ETA-militar'. Ein Teil von 'ETA-político militar' ging dann allerdings zu 'ETA-militar' über, andere von 'ETA-militar' zogen sich zurück. Und 'ETA-político militar' wurde dann ja zu einer politischen Partei, erst EIA dann später mit anderen zu Euskadiko Eskerra. Schließlich sind die, die dann noch übrig geblieben sind, im PSOE gelandet.

So war das ein klarer Einschnitt. Ich habe damals gedacht, daß die ETA schwächer wird, daß die Gewalt, wenn auch nicht verschwindet, so doch geringer wird. Ich glaubte auch durch meine persönlichen Kenntnisse über die wichtigsten ETA-Führer in der Franco-Zeit, daß sie in einer Demokratie mit politischen Mitteln kämpfen würden, wenn auch für die gleichen Ziele. Das stimmt, was die Zahl der ETA-Anhänger anbelangt, stimmt aber nicht, was die Zahl der Attentate angeht. Die wurde mit der Zeit noch höher. Wobei es natürlich immer einfacher ist, in einem Rechtsstaat Attentate zu begehen, als in einer harten Diktatur, die im Kampf gegen die Gewalt solcher Gruppen weniger Rücksichten nimmt.

 

MATICES: Im März diesen Jahres wurden Inhalte aus der Korrespondenz von ETA-Häftlingen bekannt. Darin wurde auf makabere Weise die Attentatsserie auf Mitglieder der PP begüßt. Für viele - es sei nur auf den Spanischen Innenminister verwiesen - war dies nur ein weiteres Anzeichen für die fehlende Verhandlungsbereitschaft der Terrorgruppe und die geringen Aussichten auf eine nicht-polizeiliche Lösung der Gewaltfrage. Wie schätzen Sie die Lage ein? Gibt es tatsächlich Aussichten auf einen Gewaltverzicht?

 

HAUBRICH: Ich glaube, es gibt immer Assichten auf einen Gewaltverzicht und man muß - selbst wenn Politiker oder Innenminister etwas anderes sagen - versuchen, nicht nur polizeiliche Maßnahmen zu ergreifen. Es hat sich tatsächlich erwiesen, daß die polizeiliche Lösung allein zu keinem Zeitpunkt angebracht war. Die Wege muß man sich immer offen halten. Eine andere Frage ist, ob man wirklich in ständigem Kontakt mit Herri Batasuna bleiben sollte, wie es die Baskisch Nationalistische Partei (PNV) fordert. Das geht ja auch nicht. Die Regierung kann nicht offiziell mit terroristischen Organisationen Gespräche führen. Andererseits hatte die Regierung durchaus schon solche Gespräche geplant, die dann letztendlich nicht zustande kamen, weil ETA sie öffentlich machte. Dabei muß man zwischen Gesprächen und Verhandlungen unterscheiden. Aber eine Regierung muß immer gesprächsbereit sein, auch mit kriminellen Organisationen, wenn dies irgendwelche Aussichten auf ein Ende der Gewalt mit sich bringt. Aber man muß auch Vorleistungen fordern können, zum Beipiel einen vorherigen Waffenstillstand.

 

MATICES: Die Konservativen (PP) und die Sozialisten (PSOE) setzen beim ETA-Problem auf die Karte der Polizei. Tatsächlich sind den Sicherheitskräften in den letzten Jahren harte Schläge gegen die Terrorgruppe gelungen. Zudem wurden im vergangenen Dezember die führenden Köpfe von Herri Batasuna zu langjährigen Haftstrafen wegen nachgewiesener Unterstützung des Terrorismus verurteilt. Wird das ETA endgültig zerbrechen können?

 

HAUBRICH: Wenn ich sage, daß man sich für Gespräche offenhalten muß, heißt das nicht, daß der Hauptkampf nicht polizeilich erfolgen sollte. Selbst PNV lehnt das nicht ab. Die baskische Polizei, die ja von der Autonomen Regierung abhängig ist, welche wiederum von PNV in Koalition geführt wird, verfolgt natürlich auch ETA ... mit mehr oder weniger Erfolg. Erfolgreich ist hauptsächlich die Guardia Civil. Und Erfolge hat es immer gegeben, zum Beispiel Anfang der 90er Jahre, als die wirkliche ETA-Führung, Pakito und diese Leute, in Frankreich festgenommen wurden und man einen Haufen Material sicherstellte. Das war ein wirklich schwerer Schlag für ETA.

Was Herri Batasuna betrifft, halte ich es zwar für gut möglich, daß einige der Inhaftierten direkte Mitarbeiter von ETA waren. Daß die aber jetzt im Gefängnis sitzen, spielt, glaube ich, keine so große Rolle.

 

MATICES: Aber sind die Erfolge nicht relativ? Und ist die polizeiliche Verfolgung nicht auch unvergleichlich schwierig? Schließlich hat ETA im Laufe der Jahre ein dichtes Netz von Sympathisanten, freiwilligen oder halbfreiwilligen Kollaborateuren sowie ein schwer zu durchbrechendes System von Erpressung und Bedrohung in Form von zum Beipiel Revolutionssteuern aufgebaut. Das ist doch die Realität in vor allem den kleinen Ortschaften des ländlichen Baskenlandes, wo jeder jeden kennt ...

 

HAUBRICH: Ja, das ist schwierig. Das ist immer das Problem von Terrorgruppen mit Verwurzelungen in Teilen der Gesellschaft. Es gibt immer etwas, was die ETA-Leute schützt. Die meisten denunzieren sie einfach nicht. Man ist nicht unbedingt auf ihrer Seite, aber man versucht wegzuschauen oder einfach nichts zu erfahren. In den kleinen Orten ist das schon da. Die 'nationalistische Verbildung' ist im Baskenland halt sehr stark. Der baskische Nationalismus ist auf der einen Seite ein freundlicher, jovialer Nationalismus, auf der anderen Seite ist er nun einfach ein Nationalismus; und Nationalismus bedeutet eben auch Verachtung der Leute, die anders sind. Jemand ist nicht Nationalist, weil er sich für gleich- oder minderwertig hält, sondern immer weil er sich überlegen fühlt. Es gibt viele Basken, die meinen, sie machen einem Fremden das schönste Kompliment, wenn sie sagen: "Mein Gott, so wie Du aussiehst, könntest Du eigentlich Baske sein. In meinem Dorf gibt es einen, der sieht genauso aus wie Du." Und es gibt tatsächlich noch Leute, die glauben, daß andere, die keinen richtigen baskischen Familiennamen haben, keine richtigen Basken sind, obwohl sie seit fünfzig Jahren dort leben. Im baskischen Nationalismus gibt es diese rassistische Komponente, obwohl die Rassisten unter den Basken die anderen nicht gleich umbringen oder auch nicht ausweisen wollen. Aber sie wollen, daß die Leute, die 'González' oder 'Fernández' heißen, keine erste Rolle spielen. Ein führender baskischer Politiker hat einmal darüber gesagt: "Mein Gott, man kann uns doch nicht vorwerfen, daß wir rassistisch sind, wo wir doch einen Vizepräsidenten in der baskischen Regierung haben, der 'Fernández' heißt." Regierungschef hätte er selbstverständlich nicht werden können. Die Hälfte der Einwohner im Baskenland heißt Fernández oder Rodríguez. Man kann also sagen, daß die Hälfte der Bevölkerung als nicht gleichwertig betrachtet wird.

 

MATICES: Der PNV - vielleicht sind es nur einige seiner Mitglieder - ist auch durch eine eigentümliche Blut-und-Boden-Ideologie gekennzeichnet, wie der Skandal um die Aussagen des PNV-Vorsitzenden, Arzallus, zur 'baskischen Rasse' vor einigen Jahren zeigte. Ist das eine rhetorische Dummheit oder Ernst?

 

HAUBRICH: Dummheit ist es bestimmt nicht. Arzallus ist nicht dumm. Auch wenn er dumme Sachen sagt, macht er dies doch sehr gezielt. Er ist ein Vollblutpolitiker, der sich in der Provinz langweilt. Aber, nun gut, seine Partei erlaubt ihm auch nicht, mehr zu sein. Er will ja nicht in Madrid mitregieren, sondern nur im Baskenland den Ton angeben. Aber in der Partei ist sicher die rassische Komponente enthalten. Das betrifft zumindest einen Teil des Parteivolkes. Die nationalistische Partei spricht immer mit zwei Zungen. Wenn man Atutxa auf der einen Seite hört oder den undifferenziertesten von PNV, Egibar, dann sind das zwei Welten. Ich möchte sagen, Egibar könnte auch bei Herri Batasuna sein und Atutxa würde sich auch nicht schlecht beim konservativeren Flügel des PSOE machen. Diese Leute repräsentieren natürlich auch die Wählerschaft von PNV. Sie müssen bedenken, daß PNV jene 13% der Wähler einfangen möchte, die immer noch Herri Batasuna wählt. PNV meint, er müßte HB beerben, damit er endlich zu einer richtig großen Partei wird. Denn er ist ja noch keine große Partei. Es gibt einige fast gleichstarke Parteien im Baskenland. Eine Partei, die für sich veranschlagt, daß sie das ganze Baskenland repräsentiert, müßte natürlich mindestens 40 bis 50% erreichen. Und die hat PNV nie bekommen. Somit repräsentiert er nur eine Minderheit.

 

MAUTICES: Wenn der PNV auch nicht das wünschenswerte Wählerkontingent erreicht, so muß man doch sagen, daß sehr viele nicht-politische Amtsträger im Baskenland zumindest dem PNV nahestehen. Man denke nur an die Professoren der Universidad del País Vasco, die, so sagt man, fast alle PNV-freundlich sind ...

 

HAUBRICH: Das ist ja noch schlimmer! PNV will eine Staatspartei sein, so wie etwa die CSU in Bayern. Aber die CSU gewinnt dort wenigstens die absolute Mehrheit. Sie steht also dort mit einem gewissen Recht. Aber im Baskenland ist es nicht so. Natürlich, Leute, die etwas werden wollen, halten sich an den PNV, weil sie meinen, daß er die Partei ist, die hier auch einige Zeit herrschen wird. Aber noch stützt sich die Partei auf keine so große Mehrheit.

 

MATICES: Vor einigen Wochen wurde ein Protokoll eines Gesprächs von Arzallus mit HB-Köpfen von der Tageszeitung ABC veröffentlicht, was von der rechten Presse gegen den PNV ausgeschlachtet wurde. Aus welchen Gründen insistiert aber der PNV so sehr auf Gespräche mit HB? Spielt die Angst, irgendwann einmal Opfer von ETA-Anschlägen zu werden, vielleicht auch eine Rolle?

 

HAUBRICH: Nein, PNV glaubt, auf Herri Batasuna einwirken zu können. Viele Leute des PNV betrachten die gewalttätigen Separatisten und auch die, die das gutheißen, für verlorene Söhne oder besser mißratene Söhne. Man meint, man müsse nur lange genug auf sie einreden, wie der Vater das denkt, wenn er seine Kinder zur Vernunft bringen will. Und ich glaube, das ist ja auch nicht ganz unberechtigt. Angst spielt, glaube ich, weniger eine Rolle. Man muß bedenken, daß auch die Mordtaten von ETA eine gewisse rassistische Komponente haben. Die müßten doch erst ideologische Welten bewegen, bis die einen von der 'Rasse' her 'richtigen Basken' umbrächten. Sicher, vorgekommen ist das schon. Aber als ein Stadtrat von Zarautz ermordet worden ist, sagte seine Schwester später vor der Presse: "Das kann doch nicht sein. Er sprach doch Baskisch und war ein richtiger Baske!" Wenn er ein Maketo [abschätzige Bezeichnung der nichtbaskischen Bevölkerung im Baskenland - Anm.d. Red.] gewesen wäre, dann wäre das manchen Basken noch verständlich gewesen. Viel kommt von Sabino Arana, dem rassistischen Chefideologen und Parteigründer des PNV. Der hat ja damals die Maketos als vom Schuldbewußtsein gebeugt beschrieben, mit einem bösen Blick, als sittlich verrottet, mit verbogenen Nasen und dem Alkoholismus verfallen. Solange sich PNV sich davon nicht loslöst, wird er eine teilweise rassistische Partei bleiben.

 

MATICES: Manchmal hat man den Eindruck, daß die Duldung der Gewalt in der baskischen Gesellschaft zurückgeht. Dem Aufruf der ETA-nahen Jugendorganisation Jarrai zum Streik in den Universitäten ist man letztens nicht nachgekommen. Demonstrationen nach Attentaten zeigen möglicherweise auch eine zunehmend aktive Ablehnung des Gewaltweges. Bleibt ein vor allem jugendlicher Teil des Baskenlandes weiterhin ein Siedekessel oder ist ein Wandel vom Inneren der Gesellschaft in Sicht?

 

HAUBRICH: Die Zustimmung zu Gewalt nimmt nach meiner Ansicht schon ab, je weniger Rechtfertigungen ETA heranziehen kann. Solange man von institutioneller Gewalt sprechen konnte, also in der Franco-Zeit und vielleicht auch noch einige Zeit danach, als polizeiliche Übergriffe noch häufiger waren, gab es vielleicht noch Rechtfertigungsmöglichkeiten. Heute geht die Zustimmung jedoch immer weiter zurück, weil dies kaum noch möglich ist. Natürlich gibt es noch diese Abenteurer. Vor allem an Universitäten gibt es solche Leute, obwohl sich die meisten natürlich nicht daran beteiligen.

 

MATICES: Galicien wird immer als der Nachzügler im Reigen der drei historischen Nationalismen genannt. Erst spät kam es zu einem Sprach- und Kulturbewußtsein. Die Wahlen in Galicien im vergangenen Oktober scheinen aber eine Trendwende anzuzeigen. Die Konservativen konnten ihre Mehrheit zwar halten, doch Xosé Manuel Beiras von Bloque Nacional Galego erreichte spektakuläre 25%, und das linke Bündnis von Sozialisten, Ex-Kommunisten und Grünen sank auf einen Tiefststand ab. Worauf gründet sich dieses Wahlergebnis, und wird sich Galicien politisch ähnlich wie Katalonien entwickeln?

 

HAUBRICH: Galicien hat als bäuerliche Region während der Franco-Zeit natürlich nicht soviele wirtschaftliche Vorteile gehabt wie beispielsweise Katalonien oder das Baskenland. Und in Galicien galt immer nur die Devise, man muß Freunde in Madrid haben. Als Manuel Fraga Minister in Madrid war, konnte er natürlich einiges für Galicien tun. Da ist dieses Klientelnetz entstanden. Auf der anderen Seite ist das Galicische die am meisten gesprochene regionale Sprache. Circa 60 bis 70% der Galicier verstehen und sprechen Galicisch. In Katalonien dürften es kaum mehr als 50% sein und im Baskenland sind es nur 20%, die einigermaßen baskisch verstehen. Im Gegensatz zu Katalonien waren es traditionell nur die einfacheren Schichten, welche die Regional-Sprache gebrauchten. Das Wahlergebnis sehe ich für nicht so wichtig an. Die Fraga-Partei (PP) ist noch mehr Staatspartei als PNV im Baskenland. Überall sitzen PP-Leute. Das sind meist Kaziken, die es schon in der Franco-Zeit gegeben hat, ländliche Machthaber, an denen auch die kurze Periode unter einem PSOE-Ministerpräsidenten nicht viel geändert hat. Die Tatsache, daß der Block von Xosé Manuel Beiras die zweitstärkste Partei geworden ist, ist überraschend, liegt aber vielleicht auch daran, daß der PSOE in sich nicht einig war und auch keinen guten Wahlkampf gemacht hat. Und der Bloque, muß man sagen, hat sich sehr gemäßigt. Der ist ganz anders als noch vor zehn Jahren, als er eher so etwas wie Herri Batasuna von Galicien war. Wenn PP nicht die absolute Mehrheit gewonnen hätte, wäre Beiras jetzt freilich der Vorsitzende einer Koalitionregierung mit dem PSOE geworden.

 

MATICES: Die Ley del Catalán, die das katalanische im Schulwesen fundamentieren soll, hat harte Proteste in Restspanien und bei den überwiegend spanischsprachigen Katalanen hervorgerufen. Ist diese Initiative zugunsten des schwachen Katalanischen immer noch 'Normalisierung' oder liegt hier tatsächlich schon ein 'Angriff' auf die Zweisprachigkeit vor? Jordi Pujol hat ja erst kürzlich verlautbaren lassen, daß ein Mehr an Katalanisch zwangsläufig mit Verlusten beim Castellano verbunden sein muß.

 

HAUBRICH: Das Ziel der katalanischen Nationalisten ist natürlich die Einsprachigkeit. Die ist aber nicht zu erreichen. Eine Stadt wie Barcelona, in der Spanisch die eindeutig meistgesprochene Sprache ist, kann man nicht einsprachig katalanisch machen. Das Katalanische ist schwach. Es ist halt eine 'kleine' Sprache. Ich möchte das ein wenig illustrieren. Eine alte Bekannte von mir, eine Studienrätin, die aus Tarragona stammt, einen katalanischen Namen hat und mich immer davon überzeugen wollte, besser Katalanisch zu lernen, beschwerte sich kürzlich bei mir über die starke Katalanisch in den Schulen. Sie sagte, wenn die Mehrzahl der Kinder in einer Klasse besser Spanisch spricht als Katalanisch, dann wechsele auch sie zum Spanischen. In den Universitäten herrscht darüber hinaus noch ein anderes Problem. Die meisten Bücher sind einfach auf Spanisch und wenn ein und derselbe Kurs einmal auf Spanisch und einmal auf Katalanisch angeboten wird, dann wählen immer noch drei Viertel der Studenten den Kurs auf Spanisch.

 

MATICES: Kürzlich ist Josep Borrell, ein Katalane, Präsidentschaftskandidat der PSOE geworden. Sollte Borrell die nationalen Wahlen in zwei Jahren gewinnen, wäre ein Katalane im obersten demokratischen Staatsamt. Allerdings gilt Borrell eher der Izquierda Unida (Spanische Linke) als der Convergència i Unió (Katalanische Nationalisten) zugeneigt. Welche Auswirkungen würde der 'Borrell-Effekt' für Katalonien haben?

 

HAUBRICH: Ich weiß es nicht. Borrell mag Convergència natürlich nicht, weil er kein Nationalist ist. Aber Jordi Pujol mag auch Narcís Serra oder den Enkel des Nationaldichters Maragall nicht [beide PSOE-Politiker in Katalonien - Anm. d. Red.]. Pujol meint, ein richtiger Katalane müßte auch 'Katalanist' sein und das ist ja nicht gerade einer demokratischen Auffassung dienlich. Borrell ist nun kein Nationalist, obwohl er im Gegensatz zu Pujol nicht aus Barcelona, sondern aus einem sehr katalanischen Bergdorf in den Pyrenäen stammt. Sollte Borrell tatsächlich die Wahlen gewinnen, so glaube ich, daß es wieder zu einem Bündnis mit Convergència kommen wird, es sei denn, Julio Anguita würde - und das ist etwas, was viele in Izquierda Unida wollen - von der eigenen Partei abgesägt. [Julio Anguita ist z.Z. Vorsitzender der Bündnisses Izquierda Unida (IU) - Anm. d. Red.].

 

MATICES: In der Bevölkerung außerhalb Kataloniens ist man auf die katalanischen Nationalisten schlecht zu sprechen. Man hat das Gefühl, daß die Katalanen sich zuviel herausnehmen, daß sie sich aufgrund ihrer Sonderposition auf Kosten der Gemeinschaft 'bereichern' oder unsolidarisch sind. In Katalonien hört man dagegen das genaue Gegenteil. Man fühlt sich zu wenig verstanden und zu wenig geschätzt. In der Diskussion um die Bildungsreform fordern katalanische Intellektuelle, daß in den Lehrbüchern endlich der kulturellen Heterogenität Spaniens Rechnung getragen wird. Wo liegen heute (nicht in der Vergangenheit) die Probleme, im Unverständnis der einen oder in der anderen?

 

HAUBRICH: In Kastilien ist die Antipathie gar nicht so groß. In Madrid haben sich mehr Leute bei Umfragen für den Föderalismus ausgesprochen, als in Katalonien.

 

MATICES: Naja, in Spanien werden ja verschiedene Formen des Föderalismus diskutiert ...

 

HAUBRICH: Ja, der symmetrische und der asymmetrische Föderalismus. Aber was natürlich stimmt, ist, daß die Katalanen in Spanien als die weitaus unsympathischsten Landsleute gelten, ganz im Gegensatz zu den Andalusiern zum Beispiel. Das ist vielleicht der Grund, warum man den Katalanen gerne fehlende Solidarität vorwirft. Aber das ist einfach nicht wahr. Die Katalanen tragen mit ihren Abgaben ganz erheblich zum Steueraufkommen des Staates bei.