Der ekstatische Körper und die didaktische Funktion der Kunst

Vision und Malerei im Spanien des goldenen Zeitalters

von Mandana Mesgarzadeh

Victor I. Stoichita legt mit "Das mystische Auge. Vision und Malerei im Spanien des goldenen Zeitalters" einen in jedem Fall erwähnenswerten Beitrag zur Kunstgeschichte vor. Endlich wird die sakrale Kunst Spaniens in ihrer Besonderheit gewürdigt. Das behandelte Thema der Beziehung zwischen Malerei und Vision greift jedoch weit über den geographischen Raum hinaus, insofern es um die "Grenz-Darstellung einer Grenz-Erfahrung" geht, welche Künstler und Theologen des gesamten abendländischen Kulturkreises beschäftigt hat. Doch im Spanien der Gegenreformation hat das Visionsgemälde, wie der Autor ausführt, seine originellste Ausprägung erfahren. Von Bedeutung ist hier die Erwähnung des Konzils von Trient am 3. Dezember 1563. Das in der letzten Sitzung verabschiedete Dekret über die Heiligen- und Bildverehrung war einerseits Reaktion auf die Bilderfeindlichkeit der Protestanten und Verteidigung gegen deren Bilderstürmer, andererseits wurden darin religiöse Bildnisse als didaktisches Anschauungsmaterial frommer Geisteshaltung empfohlen. Selbstverständlich mußte die Ikonographie dieser Bildnisse streng dem katholischen Traditionsgut folgen. Religiöse Schriften sollten den Gelehrten vorbehalten sein und die Bilder den Laien. Der kirchlichen Autorität war insbesondere die spanische Visionsliteratur, welche im 16. Jahrhundert erblühte, höchst suspekt. Die Vision als ein transzendentes Erlebnis entzog sich durch seine Unmittelbarkeit der Kontrolle von außen. Kirchenmänner wie beispielsweise Kardinal Gabriele Paleotti beschäftigten sich intensiv mit erlaubten und verbotenen Sujets und deren Darstellungsweise. "Das Hauptziel ist es, die Leute zur Frömmigkeit zu überreden und sie Gott zu unterwerfen; die Bilder sollen die Menschen dazu bewegen, Gott den schuldigen Gehorsam und die nötige Ehrerbietung zu erweisen". Es wurde nach einer Bildersprache gesucht, welche geeignet schien, die Volksfrömmigkeit und deren mögliche Affinität zum Mystischen zu kanalisieren. So war denn eine möglichst naturalistische Darstellung aus Gründen der Einfühlung erwünscht. An diesem Punkt nun wird das Besondere der spanischen Kunst in der nachtridentinischen Zeit offenkundig. Diese seltsame Kombination von zum Teil schwindelerregendem Realismus und eigentlich immateriellen Bildinhalten oder in den Worten Stoichitas diese "Mixtur aus Leidenschaft und kühlem Verstand" ist einzigartig. Anhand reichen Bildmaterials zeigt Stoichita die Entwicklung des Visionsgemäldes als einer erzählten Vision bis zu seiner Funktion als Katalysator von Visionen auf. Letzteres war allerdings von dem Trienter Bilderdekret keineswegs intendiert. Und schließlich ist der Körper in Ekstase, der schauende Körper Mittelpunkt der pikturalen Darstellung mystischer Erfahrung. Der schauende Körper ist im Akt der "Exterritorisierung" von Visionen Vermittler zwischen dem Heiligen und dem gläubigen Betrachter und damit eigentliches Sujet. Dieses sehr schöne Buch kann nur wärmstens empfohlen werden. Stoichita weiß seine Begeisterung zu vermitteln und den Leser mitzureißen, was möglicherweise auch an der an einigen Stellen sachte durchschimmernden liebevollen Ironie liegen mag.

 

Victor I. Stoichita: Das mystische Auge. Vision und Malerei im Spanien des goldenen Zeitalters. 

Wilhelm Fink Verlag / Bild und Text, München, 1997. 32 Seiten, 102 z.T. farbige Abbildungen. 68,00 DM.