Aufstand der Trommeln!

Olodum will mehr als nur unterhalten

von Ricarda Bruder und Ivan Jung

Seit Beginn der 90er Jahre begibt sich die afrobrasilianische Gruppe Olodum alljährlich auf Konzerttournee durch Europa. Mittlerweile können die Trommler in Städten wie London, Paris oder Köln mit einem Stammpublikum rechnen. Am 13. Juni waren sie im Rahmen des Misereor Musikfestivals "1000 BEATS FÜR 1 WELT" im Tanzbrunnen zu sehen, das anläßlich des 40 jährigen Bestehens der kirchlichen Hilfsorganisation veranstaltet wurde. Die Wahl der populären Karnevalsgruppe aus Salvador für das musikalische Programm erklärt sich nicht nur aus der Fähigkeit der Gruppe dem deutschen Sommer tropisches Feeling zu verleihen, sondern auch aus dem konkreten Einsatz Misereors in den bereits etablierten Sozialprojekten Olodums. Mit der Band sprachen Ricarda Bruder und Ivan Jung für Matices.

 

Das Publikum, in tanz hungriger Erwartung, verharrt geduldig. Die tiefdunklen und kräftigen Trommler betreten in den leuchtenden Reggaefarben rot, gelb und grün gekleidet die Bühne. Nach der obligatorischen Frage "tem brasileiro ai ?" sausen auch schon die Stöcke auf das Fell nieder und entladen ein rhythmisches Feuerwerk. Die tiefen Schläge der faßgroßen surdos, gebrochen von dem Rattern der hellen rebiques fahren über die Köpfe der Zuschauer hinweg bis in die letzten Wipfel der umliegenden Bäume. Ein polyrhythmisches Gebäude entsteht, dem sich niemand entziehen kann. Über diesen Trommelteppich legt sich der samtweiche Gesang portugiesischer Sprache. Bläser und Keyboards bereichern das archaische Spiel der Perkussionisten mit klanglichen Farbtupfern. Als "Erfinder" des sogenannten Samba-Reggae wissen sie, wie man ein Publikum in Stimmung bringt. So kennt man Olodum, als eine Musikgruppe, explosiv, energetisch, die kein Tanzbein unbeeindruckt läßt. Auch zahlreiche internationale Künstler, wie Paul Simon, David Byrne und zuletzt Michael Jackson bedienten sich des billigen musikalischen Rohstoffs. Bekam die Gruppe von Paul Simon keinen Cruzeiro, waren es bei Michael Jackson immerhin 40.000$ inklusive Hotrotation bei MTV. Die im Erkennen von Ausbeutung und Ungerechtigkeit geschulte Band, fühlt sich aber keineswegs über den Tisch gezogen. Daß sie ihre Interessen und ihren Vorteil trotzdem noch als gewahrt ansahen, erklärt uns ihr Sänger Reni Veneno so: "Die meisten von uns kommen aus ärmlichen Verhältnissen, mit schlechter Erziehung und Schulausbildung. Es war eine wichtige Erfahrung mit internationalen Musikgrößen zusammenarbeiten zu können. Sie alle haben natürlich von uns profitiert, aber wir auf unsere Weise auch. Für uns war das sehr interessant und auch zufriedenstellend. Diese Gelegenheiten haben wir schließlich nur bekommen, weil wir sehr gute Arbeit machen, kompetent sind und interessante Projekte präsentieren können." Wenn der Musiker von Projekten spricht, meint er nicht nur die hörbaren. Den Menschen in aller Welt ein Stück brasilianischer Lebensfreude näherzubringen, ist nicht das alleinige Anliegen von Olodum. Die Lebensbedingungen ihrer dunkelhäutigen Mitmenschen im eigenen Land zu verbessern ist die andere Seite der Karnevalskombo.

 

Als 1979 sieben schwarze Jugendliche aus dem Pelourinho einen bloco de carneval gründeten, konnten sie mit ihrer perkussiven Musik sofort die Massen aus Salvador für sich begeistern. Die Gruppe hatte einen derart explosionsartigen Zulauf, daß im Karneval 1981 bereits 2000 Mitglieder mit den Trommelmeistern im Block mitmarschierten. Die Band, von diesen Dimensionen maßlos überfordert, brach kurz darauf auseinander und mit der Neuorganisation formulierten die Mitglieder ihre Ziele. Die Grupo Cultural Olodum wählte nach demokratischem Prinzip einen Präsidenten und weitere Kultur zuständige, sie definierten sich als ein movimento negro und machten sich den Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit, Rassendiskriminierung und der alltäglichen Gewalt auf den Straßen zur Aufgabe. Ihre Waffen sind soziokulturelle und edukative Aktivitäten, die denen ein Selbstbewusstsein verschaffen sollen, die meist keine Lobby haben. Sie wollen Sprachrohr für die sein, die sich politisch nicht artikulieren können. "Wir sahen, daß es zwar sehr schön sei, den candomblé unser eigen nennen zu können und als Schwarzer künstlerisch tätig zu sein, daß es aber nicht ausreichte, nur schwarz und schön zu sein! Was uns fehlte, war die Fähigkeit, uns zu organisieren, und die Kraft zur Rebellion. Diese Aufgabe sollte die Institution Olodum erfüllen", erläutert die Gruppe in ihrer Selbstdarstellung. Reni Veneno, Sänger und Texter fügt hinzu: "Olodum ist eine Plattform für Schwarze und Benachteiligte sich zu organisieren und zusammenzukommen, um ihren Kampf zu kanalisieren."

 

Ein wichtiges Kernelement der Bewegung ist die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. In der Escola Criativa Olodum soll ihnen berufsspezifische Qualifikationen vermitteln werden, die nicht in den Lehrplänen der öffentlichen Schulen stehen. Es werden beispielsweise Kurse in Informatik, Englisch, Geschichte, Musik angeboten. Misereor unterstützt dieses Projekt aktiv. Die vielfältigen Aktivitäten finanzieren sich allerdings nicht nur aus Spendengeldern. 30% der Konzerteinnahmen werden für die Hilfsprojekte verwand. Ihren Sitz hat Olodum im historischen Pelourinho-Viertel, wo vor hundert Jahren Sklaven noch öffentlich ausgepeitscht wurden. Dort konnte die musizierende Hilfsorganisation erreichen, daß die Bausubstanz grundlegend renoviert wurde und dem touristischen Hotspot den Favela-Charakter entzog. Hinter den neuverputzten Fassaden verbergen sich aber weiterhin viele Problempunkte. Nur 60% der Bewohner verfügt über einen festen Arbeitsplatz. Daraus erwächst eine brisante Mischung aus Depression und Hoffnungslosigkeit, die nicht selten in Kriminalität, Prostitution und Drogenmißbrauch mündet. Diese Konfliktpotential versucht Olodum mit der Fábrica Olodum abzufedern. In dieser Produktionsstätte werden die Fan-Devotionalien, Musikinstrumente und Karnevalskostüme hergestellt, die in einer eigenen Olodumboutique verkauft werden. Bisher fanden aber erst 35 Menschen auf der Lohnliste Platz. Die Fábrica will allerdings auch Jugendlichen Ausbildungsplätze ermöglichen. Die Einnahmen aus dem Verkauf fließen direkt wieder in die anderen Projekte.

 

Das auch politisches Engagement in Zukunft zwingend notwendig sein sollte, stand nach der Neuorganisation 1983 für die Mitglieder ebenfalls außer Frage. Alljährlich unterstützen sie mit ihrem Musikzauber die Wahlkampagne eines farbigen Kandidaten aus den linken Arbeiterparteien für die Lokalwahlen in Salvador oder die Regionalwahlen in Bahia. 1989 nahmen sie sogar an der Wahlkampagne Lulas für das Amt des Präsidenten Brasiliens teil.

 

Großes Aufsehen erregte der tragische Tod des künstlerischen Leiters von Olodum, Euzébio Cardoso. Von einem Polizisten mit einem Kriminellen verwechselt, traf ihn auf der Straße ein tödlicher Schuß. Die Regierung des Bundesstaates Bahia versuchte das Verbrechen zu vertuschen. Amnesty International, die brasilianischen Gewerkschaften und einige linksorientierte Parteien brachten die Sache jedoch vor Gericht. Olodum prangert aber auch die alltägliche Polizeigewalt auf den Straßen Salvadors an. Ihre Ziele verfolgen sie mit einem Kampf, bei dem sie Gewaltanwendung kategorisch ablehnen, dessen Schlagkraft deswegen aber nicht weniger effektiv sein muß: "Unsere Arbeit ist ein Kleinkrieg. Auf die Gewalt der Polizei antworten wir mit der Gewalt unserer Ideen und Konzepte"