Baskische Geschichte aus deutscher Sicht

von Klaus Jetz

Michael Kasper ist Historiker, stammt aus Deutschland und lebt seit mehr als 10 Jahren in Gernika. Seine Lehrtätigkeit an der Universität Deusto in Bilbao und am Goethe-Institut in Gernika verbindet er mit historischer Forschung. Seine bisherigen Veröffentlichungen kreisen immer wieder um die Geschichte seiner neuen Heimat. So beschäftigte er sich intensiv mit dem Camino de Santiago, mit Guerillabewegungen und Volksaufständen des 18. und 19. Jahrhunderts im Baskenland sowie mit der jüngsten baskischen Geschichte, insbesondere die der Stadt Gernika im spanischen Bürgerkrieg.

 

Folglich ist es nicht verwunderlich, daß sich seine jüngste Publikation dem unseligen Thema Gernika und Deutschland. Geschichte einer Versöhnung widmet. Es geht also nicht um den hinlänglich bekannten deutschen Luftangriff vom 26. April 1937 auf die heilige Stadt der Basken, den Mord an hunderten von ungeschützten Zivilisten und auch nicht um die massive Hilfe von Nazi-Deutschland für die aufständischen Militärs, die sich gegen die durch demokratische Wahlen legitimierte Republik erhoben hatten.

 

In Gernika und Deutschland schildert Michael Kasper vielmehr die zwei Jahrzehnte währende "Geschichte der Versöhnung” zwischen Deutschen und den Bürgern von Gernika. Höhepunkte waren der Kniefall von Petra Kelly und Gert Bastian vor dem heiligen Baum von Gernika im Jahre 1987 sowie die 1989 geschlossene Partnerschaft zwischen Gernika und Pforzheim. Auf Vermittlung von Gernika Gogoratuz, dem Zentrum für Friedensforschung, das 1987 auf einstimmige Entscheidung des baskischen Parlamentes gegründet wurde, fand diese unrühmliche Geschichte, also die beinahe gescheiterte Versöhnung und die von deutschen offiziellen Stellen systematisch und über Jahre hinweg betriebene Leugnung einer Schuld schließlich doch noch einen halbwegs tragbaren Abschluß: der offene Brief von Bundespräsident Herzog vom 27. April 1997, in dem er die deutsche Schuld an der Bombardierung Gernikas eingestand sowie die späte, aber rechtzeitig zum 61.

 

Jahrestag des Massakers der Legion Condor erfolgte Erklärung des Deutschen Bundestages, die sich hinter den offenen Brief des Bundespräsidenten vom vergangenen Jahr stellt. Die Studie ist exemplarisch und mithin geeignet, die katastrophalen (weil auch dem Ansehen Deutschlands schadenden) Auswirkungen der "geistig-moralischen Wende”, die sich die rechtskonservative Regierung Kohl sofort nach Amtsantritt auf die Fahnen geschrieben hatte, anschaulich darzustellen. Die von Unionskreisen betriebene Torpedierung dieses deutsch-baskischen Versöhnungsversuche in den 80er und 90er Jahren reiht sich also nahtlos ein in die lange Kette von Skandalen der Regierung Kohl im Umgang mit der deutschen Geschichte. Das bisherige Hauptwerk von Michael Kasper aber ist die im letzten Jahr in der wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienene Baskische Geschichte in Grundzügen. Sie reicht von den Anfängen bis zur Gegenwart und ist die erste Monographie ihrer Art in deutscher Sprache. Kasper erntete für dieses rühmliche Unterfangen nicht nur Lob. So sah er sich am 1. Oktober letzten Jahres der harschen und völlig unbegründeten Kritik von Walter Haubrich, dem Madrider Korrespondenten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ausgesetzt. In einer Buchrezension diffamierte der Journalist in Deutschlands einflußreichem, konservativen Blatt den Historiker als "gelehrigen Schüler der radikalen baskischen Nationalisten”. Der aktuelle Bezug, vor dessen Hintergrund Haubrich aktiv geworden war: der damalige Prozeß gegen die Führung der ETA-nahen Partei Herri Batasuna vor dem Obersten Gerichtshof Spaniens.

 

Nüchtern betrachtet liefert Kaspers Monographie einen wissenschaftlich fundierten und gut lesbaren Einstieg in über 2000 Jahre baskischer Geschichte. Der Autor spannt den Bogen von der vorrömischen Stammesgliederung über das baskische Mittelalter, das Foralwesen und die industrielle Revolution bis hin zum spanischen Bürgerkrieg, Franquismus und Postfranquis-mus im Baskenland. Die letzten 40 Jahre, die Geschichte der ETA und des bewaffneten Kampfes im Baskenland machen gerade mal 10 % des Buches aus. Zudem schreibt der Autor in seinem Buch nichts anderes als das, was seit langem in spanischen und internationalen Medien zu lesen war und ist, nämlich von "zahlreichen Hinweisen” dafür, daß "die GAL und ihre Vorläufer aus Mitteln des spanischen Innenministeriums finanziert wurden, mit diesem Ministerium, mit dem spanischen Geheimdienst und mit der Guardia Civil und Nationalpolizei zusammenarbeiteten...” Bei alledem ist hervorzuheben, daß Kasper als Nicht-Spanier und Nicht-Baske um wissenschaftliche Objektivität bemüht ist und immer wieder den berühmten "Blick von außen” sucht, wobei ihm eine Darstellung gelingt, die es wert wäre, ins Spanische übersetzt zu werden.

 

Eine das Werk in angemessener Weise würdigende Besprechung muß auch zu dem Schluß kommen, daß es dem Autor gelingt, nicht nur die sprachlichen und geografischen Besonderheiten, die Frühgeschichte, Romanisie-rung und Christianisierung des "ältesten Volkes Europas” fesselnd darzustellen. Der berühmte rote Faden: Den Basken ist es in ihrer Geschichte "immer gelungen, ihre kulturelle Identität vor äußeren Einflüssen zu schützen”. Beispiel Mittelalter: Weil sich Feudalismus und Christentum sehr spät und nicht überall ausbreiteten, konnten sie ihre traditionelle Stammesgesellschaft bis ins Hochmittelalter bewahren. Und die sogenannten "fueros”, vom König anerkannte Gewohnheitsrechte, waren lange Zeit die Basis des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Sie schützten die Basken vor übermäßiger Einflußnahme von außen. Als die traditionellen Selbstverwaltungsrechte im 19. Jahrhundert auch im spanischen Baskenland (Hegoalde) verloren gingen, entstand die Ideologie des baskischen Nationalismus, der innerhalb des spanischen Staates Autonomie forderte. Seit 1979 ist diese verwirklicht. Folglich setzte eine "Erholung” der baskischen Sprache und Kultur ein, die ein Jahrhundert lang, insbesondere aber in der Zeit des Franquismus, verdrängt worden war. Die baskische Sprache hat an Prestige gewonnen, und im Gegensatz zum nördlichen (französischen) Baskenland (Iparralde) fühlen sich heute in Euskadi dreiviertel der Bevölkerung als Basken.

 

Und die Überwindung der Gewalt? Zwei Schlußfolgerungen zieht der Autor aus seiner Analyse: Die europäische Integration habe zu einem regen Austausch zwischen Hegoalde und Iparralde geführt. Dies wirke sich positiv auf die baskische Kultur im allgemeinen aus. Und wichtiger noch: Die gemäßigten baskischen Nationalisten stellen sich eine Zukunft als Region innerhalb der EU vor. Vielleicht ist dies in der Tat ein Ausweg aus der Gewalt, ein Weg, der eine vielversprechende Zukunft verspricht?

  • Michael Kasper: Baskische Geschichte. Primus Verlag, Darmstadt, 1997. 228 Seiten. 39,80 DM.
  • Michael Kasper: Gernika und Deutschland. Geschichte einer Versöhnung. Bakeaz/Gernika Gogoratuz, Bilbao/Gernika, 1998. 104 Seiten.