Zwischen zwei Welten

Tauziehen um das politische Schicksal Puerto Ricos

von Ulrike Jansen

"I want to be in America", singen die Puertoricaner im Musical West Side Story. Doch in Wirklichkeit sind sich die 3,8 Millionen Bewohner der Karibikinsel Puerto Rico da nicht so sicher. Sie halten sich für US-Amerikaner, doch ihr Herz schlägt im Rhythmus Lateinamerikas: Nach außen demonstrieren sie US-amerikanischen Lebensstil, innerhalb der Familien pflegen sie hingegen ihre hispanoamerikanischen Traditionen. Und ihre Landessprache ist Spanisch, auch wenn sie Staatsbürger der USA sind, denn Puerto Rico gehört als "Estado Libre y Asociado" zu den Vereinigten Staaten.

 

Von Kolumbus 1493 entdeckt, wurde Puerto Rico 1508 für Spanien in Besitz genommen. Erst 1897 gestanden die Spanier Puerto Rico eine gewisse Autonomie zu, allerdings zu spät, denn bereits ein Jahr später - nach Ende des spanisch-amerikanischen Krieges - mußten die spanischen Kolonialherren die Insel an die USA abtreten. Erst im Jones Act von 1917 wurde Puerto Rico wieder eine beschränkte Selbstverwaltung zuerkannt. Sein Status ist der eines halbautonomen Bundesstaates. Die Innenpolitik liegt in der Hand des puertoricanischen Parlaments, Kopf der internen Regierung ist der Gouverneur. Staatschef ist hingegen der Präsident der Vereinigten Staaten, und die Außenpolitik Puerto Ricos wird vom State Department in Washington bestimmt.

 

Anschluß, Assoziation oder Unabhängigkeit?

 

Die Frage des politischen Status ihres Landes spaltet die Puertoricaner. Die Zugehörigkeit zu einer der politischen Parteien richtet sich nach der jeweiligen Haltung in dieser Frage: Der Partido Nuevo Progresista (PNP) tritt für den Anschluß Puerto Ricos als 51. Bundesstaat an die USA ein.

 

Sie wollen US-Bürger mit vollen Rechten werden (die Puertoricaner sind nicht im Senat vertreten und dürfen nicht an den Präsidentschaftswahlen teilnehmen), ohne aber ihre sprachliche und kulturelle Identität zu verlieren. Der Partido Popular Democrático (PPD) befürwortet den politischen Status quo als Mitglied des Commonwealth, und der Partido Independentista Puertorriqueno (PIP) fordert die Unabhängigkeit Puerto Ricos von den Vereinigten Staaten. Bei einem Plebiszit im Jahre 1993 votierten 48,6 Prozent der Puertoricaner für die Beibehaltung des Status quo, für die Eingliederung in die USA sprachen sich 46,3 Prozent aus. Nur 4,4 Prozent begrüßten die Idee der Unabhängigkeit, die wirtschaftliche Nachteile für Puerto Rico bedeuten würde. Denn als US-Territorium ist Puerto Rico mit den Vereinigten Staaten durch einen gemeinsamen Markt und eine gemeinsame Währung verbunden.

 

Doch die Entscheidung über die politische Zukunft des Inselstaats hängt nicht allein von dem Votum der Puertoricaner ab. Da die Insel zum Territorium der USA gehört, obliegt es letztendlich dem amerikanischen Kongreß, über den Status Puerto Ricos zu bestimmen. Anfang März hat das Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten in einer geschlossenen Sitzung das Projekt 'Young' angenommen, einen Gesetzentwurf des republikanischen Abgeordneten Young, der noch in diesem Jahr ein erneutes Referendum über den zukünftigen Status Puerto Ricos auf den Weg bringen soll. Sollte sich dann auf Puerto Rico keine erforderliche Mehrheit zugunsten des Beitritts zu den USA oder aber der Unabhängigkeit ergeben, soll diese Abstimmung in zehnjährigem Turnus wiederholt werden. US-Präsident Bill Clinton befürwortet den Anschluß Puerto Ricos an die Vereinigten Staaten. Für diesen Fall ist auch einen Bildungsreform vorgesehen, die Englisch als Amts- und Alltagssprache im Bildungswesen verankern soll. Nur etwa 20 Prozent der Puertoricaner sprechen heute ein einigermaßen gutes Englisch.

 

Kritiker weisen allerdings darauf hin, daß die Erweiterung des Staatenbundes eine große finanzielle Belastung für die USA mit sich brächte. Zwar gilt Puerto Rico im Gegensatz zu seinen karibischen Nachbarn als reich; es erwirtschaftet aber nicht einmal die Hälfte des Bruttosozialproduktes von Mississippi, dem zur Zeit mit Abstand ärmsten US-Bundesstaat. Unwillen löste auch die Hast des eingeleiteten legislativen Prozesses aus. Ein äußerst knappes Abstimmungsergebnis (209:208) im Repräsentantenhaus läßt allerdings Zweifel aufkommen, daß noch in diesem Jahr abschließend über das politische Schicksal Puerto Ricos entschieden wird. Die zwischen den Abgeordneten im Vorfeld geführten, elfstündigen Debatten spiegelten die auch auf der Insel stark auseinandergehenden Meinungen zum Thema wider. "Wenn es darum geht, über die Zukunft der Insel zu entscheiden," meinte der Kongreßabgeordnete José Serrano, "liegt die Verantwortung allein bei denen, die dort leben, nicht bei denen, die sich in der Metropole angesiedelt haben." Seine Kollegin Nydia Vázquez sprach sich demgegenüber gegen das Projekt aus: "Das Ganze stellt keine Selbstbestimmung dar, sondern drückt der Insel die Eigenstaatlichkeit auf".