"Frieden ist, wenn sie mich holen wollen, und sie können nicht!"

Mitglieder der Peace Brigades International kämpfen als "menschliche Schutzschilde" gegen den Staatsterror in Lateinamerika

von Sebastian Rötters

Am 19. Oktober 1997 entgingen die zwei Brüder Octavio und Javier Domingo López aus Isnul, in Huehuetenango/ Guatemala, bei einem Attentat nur knapp dem Tod. An diesem Tag waren sie noch ohne schützende Begleiter. Die beiden Mitglieder des Consejo Campesino Kabawil - einer Organisation, die sich für landlose Familien einsetzt - sowie der Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca (die ehemalige Guerrilla, die zur Zeit in eine Partei umgewandelt wird) wurden auf offener Straße niedergeschossen. Octavio wurde von zwei Kugeln in den linken Oberschenkel und in den rechten Unterarm getroffen; zwei weitere Kugeln traten in der Gegend des linken Schienbeins beziehungsweise am linken Fuß wieder aus. Javier durchlöcherten zwei Kugeln den Darm. Außerdem streiften Kugeln sein linkes Auge sowie seine rechte Hand. Ihr Vater Santiago Domingo Vicente entging einen Monat später nur knapp einer Entführung. Ihn hatten aufmerksame Nachbarn gewarnt.

 

Die Anschläge stehen unmittelbar mit einer Aussage Domingos vor der guatemaltekischen Wahrheitsfindungskommission ("Kommission zur historischen Aufklärung" unter Vorsitz des Berliner Völkerrechtsprofessors Christian Tomuschat) in Zusammenhang. Wenige Tage vor dem Anschlag auf seine Söhne hatte er dort einige ehemalige Armeeangehörige schwer belastet. Nach der vereitelten Entführung bat CONADHEGUA (Nationale Menschenrechtskommission von Guatemala) PBI um Hilfe. Seit dem 23. November begleiten Mitglieder des Guatemala-Teams von PBI die Familie Domingo. Denn obwohl die beiden Brüder und auch andere Zeugen zwei der sieben beteiligten Attentäter wiedererkannten und der Vater kurze Zeit später Anzeige gegen sie erstattete, ist bis zum jetzigen Zeitpunkt nichts passiert. Bei den Angreifern handelt es sich um die belasteten ehemaligen Armeeangehörigen, die mittlerweile in die Gemeinde zurückgekehrt sind. Obwohl das Ministerio Público von Huehuetenango Ende letzten Jahres einen Haftbefehl gegen sie erließ, wurde dieser bis zum heutigen Tag nicht vollstreckt.

 

Der Reisepaß als Lebensretter

 

Mario Humberto Calixto hatte Glück, daß ihn nicht das Schicksal der beiden Guatemalteken ereilte. Der Vorsitzende des regionalen Menschenrechtskomitees der kolumbianischen Stadt Sabana de Torres, Departement Santander, hatte bereits im November vergangenen Jahres mehrfach Morddrohungen erhalten. Wäre er an jenem 23. Dezember 1997 allein zur Tür gegangen, hätte ihn das wahrscheinlich das Leben gekostet. Vor seinem Haus standen zwei schwer bewaffnete Männer, die ihn zu einem "Gespräch" mitnehmen wollten. Die Männer trugen Zivilkleidung, hatten aber offensichtlich trotz der mitgeführten Waffen keinerlei Probleme, sich am hellichten Tage in dieser militärisch stark bewachten Stadt zu bewegen. Calixto standen in diesem Moment nur zwei Freiwillige des Kolumbienteams von PBI zur Seite, der Spanier Francisco Roman und der Belgier Hendrik Vaneeckhaute. Nachdem die beiden die äußerst agressiven Besucher über ihre Identität aufgeklärt hatten, versuchten sie, die beiden Männer zu beruhigen und von ihrem Vorhaben abzubringen. Währenddessen flüchtete Calixto in den hinteren Teil des Hauses. Wenig später zogen die beiden Männer, offensichtlich verwirrt durch die Anwesenheit der beiden Ausländer, unverrichteter Dinge wieder ab. Zum Glück für die begleiteten Personen sind nicht alle Fälle derart spektakulär. Oft werden potentielle Attentäter schon im voraus abgeschreckt.

 

PBI, gegründet 1981 in Anlehnung an die Idee einer Shanti Sena (Friedensarmee) von Mahatma Gandhi, ist in Kolumbien seit 4 Jahren aktiv. In Guatemala sind die "Friedensbrigaden" bereits seit 1983 präsent. Außerdem gibt es noch PBI-Projekte in Haiti (seit 1995), Chiapas (seit 1997 zusammen mit dem Servicio Internacional para la Paz), Nordamerika (seit 1990, bei Landkonflikten zwischen Indianern und Regierung), Sri Lanka (seit 1989) und seit 1994 eine Beteiligung am "Balkan Peace Team" im ehemaligen Jugoslawien.

 

Die wichtigsten Grundsätze der Organisation sind Gewaltfreiheit und die bedingungslose Unabhängigkeit von Staaten, Kirchen oder Parteien. PBI wird nur auf Anfrage aktiv und begleitet Gruppen oder Einzelpersonen, die aufgrund ihres gewaltfreien Einsatzes für die Menschenrechte bedroht werden. In die inhaltliche Arbeit der einzelnen Gruppen mischt sie sich nicht ein. Durch die internationale Präsenz wird eine schützende Öffentlichkeit geschaffen, die den verfolgten Personen die Möglichkeit zur Fortsetzung ihrer Arbeit gibt. Der ständige Kontakt zu Regierungsstellen und zur UNO ist entscheidend für eine erfolgreiche Arbeit.

 

In Kolumbien begleitet PBI neben Einzelpersonen wie Mario Calixto unter anderem Mitglieder von ASFADDES (Asociación de Familiares de los Detenidos-Desaparecidos), einer Organisation, die den Verbleib von verschwundenen und ohne Anklage inhaftierten Familienangehörigen untersucht, und CREDHOS (Comité Regional de Defensa de los Derechos Humanos), einer Organisation, die Menschenrechtsverletzungen dokumentiert und ihnen nachgeht. CREDHOS hatte PBI vor einiger Zeit um Hilfe gebeten, nachdem fünf der führenden Mitglieder ermordet worden waren und der Gründer ins Exil hatte flüchten müssen. In Guatemala unterstützt PBI vor allem die Bemühungen von CONADHEGUA.

 

Deren Aufgabe ist es, die Arbeit von elf Menschenrechtsorganisationen zu koordinieren. Die bekanntesten unter ihnen sind GAM (Grupo de Apoyo Mutuo), CONAVIGUA (Comité Nacional de Viudas de Guatemala) und CERJ (Consejo Étnico "Runuel Junam"). Die Arbeit der beiden erstgenannten ist mit der von ASFADDES vergleichbar, während der CERJ sich vor allem um das Schicksal von indianischen Bauern kümmert.

 

Druck durch weltweite Unterstützung

 

Seit dem Friedensschluß von Regierung und Guerilla Ende 1996 sind diese Organisationen vorrangig damit beschäftigt, die Verbrechen aus 36 Jahren Bürgerkrieg aufzuarbeiten. PBI ist hier zum Beispiel bei der Exhumierung von Massengräbern anwesend. Beobachtungen werden dokumentiert und veröffentlicht. Das Abhalten von Seminaren stellt einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit vor Ort dar. Gerade im Hinblick auf die nötige Demokratisierung des Landes zur Stabilisierung des Friedens ist dieser "unspektakuläre" Teil der Arbeit eminent wichtig. Aufsehen erregt die Arbeit von PBI vor allem dann, wenn das internationale Alarmnetz aktiviert wird. Mitglieder und Unterstützer von PBI versuchen in einem solchen Fall per Brief, Fax oder Telex an die jeweils verantwortlichen Stellen den Druck zu erhöhen. Im Fall der Familie Domingo entschloß sich PBI Anfang März, das internationale Alarmnetz zu aktivieren. Damit soll erreicht werden, daß der Haftbefehl gegen die Attentäter endlich vollstreckt wird. Solange dies nicht geschehen ist, werden sich Octavio und Javier Domingo weiter im Büro des Consejo Campesino Kabawil in Quetzaltenango verstecken müssen.

 

Ein Ende des Engagements in Kolumbien ist zur Zeit ebenfalls nicht abzusehen, da Kolumbien bei der Einhaltung der Menschenrechte eher Rück- statt Fortschritte macht. Das verdeutlichen neben dem oben genannten Beispielen von Mario Calixto und CREDHOS auch einige Angaben über Sabana de Torres. Allein in den sechs Monaten vor dem gescheiterten Anschlag auf den Menschenrechtler wurden in diesem Bezirk fünf Menschen getötet, acht verschleppt und ungefähr 30 Familien vertrieben. In ganz Kolumbien schätzt man die Zahl der Vertriebenen auf mehr als eine Million. Für die Mehrzahl dieser Verbrechen werden Paramilitärs verantwortlich gemacht. Zwar konnte die Ermordung von Mario Calixto vermieden werden, aufgrund der akuten Gefährdung der Familie Calixto half PBI zusätzlich beim sofortigen Umzug nach Bogota. Die größte Gefahr scheint in diesem Fall erst einmal gebannt zu sein. Leider um den Preis, daß auch in Kolumbien wieder eine Familie aus ihrer Heimat vertrieben wurde...

 

Weitere Informationen über die Arbeit von PBI sind erhältlich über folgende Adresse: PBI Deutscher Zweig eV., Chemnitzstraße 80, 22767 Hamburg; Tel.040-3806903/ Fax.040-3869417 e-mail: pbiger@shalom.life.de; http://www.igc.apc.org/pbi Spendenkonto 200 105, BLZ 574 501 20, Sparkasse Neuwied