Manuel Puig

Eine biographische Annäherung

von Editha de Leppich

Scharlatan? Erster lateinamerikanischer Popautor? Argentinischer Meister des Kitsches und des schlechten Geschmacks? Kinobesessenes Mamasöhnchen? Erneuerer der lateinamerikanischen Literatur? Homosexueller Skandalautor? Lebenslänglich von der Zensur verfolgt? Diva oder Kretin, Genie oder Hochstapler?

 

Die erste Biographie über Manuel Puig präsentiert sich auf 2 CD-ROM's und zeigt anhand von Materialien aus dem Jahre 1968 bis 1995 die recht ungewöhnlichen Facetten eines etwas anderen Schriftstellers. Es rasseln Fotos begleitet von einem wilden Trommelwirbel den Bildschirm hinunter; Puig spricht aus dem Off über seinen Geburtsort General Villegas "... se lo puede definir como la ausencia total de todo paisaje"; ein 10-minütiges Video aus dem Jahre 1973 erscheint in Streich-holzschachtelgröße und zeigt einen schüchternen, jungen Puig, der sich zu seinen ersten drei Romanen äußert, von seiner großen Liebe Rita Hay-worth spricht und schwärmend erklärt: "Para mí Rita Hayworth significa el triunfo del cuerpo sobre la muerte"; eine unermessliche Anzahl an Interviewauszügen mit Freunden, Professoren, Schriftstellern und Literaturkritikern, die eine Gesamtspieldauer von 2 1/2 Stunden veranschlagen dürften; mehrere Originalbriefe, über 50 Zeitungsartikel mit Interviews, knapp 70 Buchrezensionen; ein Manuel Puig, der aus seinem Buch Boquitas pintadas vorliest und am Ende stöhnt, er hasse es, laut vorzulesen, und, und, und... Diese Biografie, die sich vom Titel her als eine "biografische Annäherung" bezeichnet, entpuppt sich nach wenigen Minuten als ein Fegefeuer der Einzelheiten, eine Materialschlacht, ein Bombardement an Informationen, die Herz und Hirn eines jeden Puigliebhabers in die Höhe schnellen lassen und Puig-verächter eines Besseren belehren.

 

Vorsicht, mag es anfänglich in unseren Köpfen warnend schrillen, dies ist eine Magisterarbeit. Die Entwarnung erfolgt stehenden Fußes, nicht eine einzige Fußnote verunziert den Computerbildschirm, kein einziger nervtötender Kommentar attackiert unser eigenes Urteilsvermögen, statt universitärer Wissenschaftlichkeit verbunden mit einer gehörigen Portion Langeweile, findet sich der Anwender in einer dokumentarischen Milchstraße wieder und hüpft von einem Stern zum anderen. Und eines ist sicher, es gibt viel zu Hüpfen:

Sein ungewöhnlicher Werdegang zum Schriftsteller; seine persönlichen Macken und Skurilitäten; warum er Argentinien verließ und nie wieder zurückkehrte; seine lebenslänglichen Probleme mit der Zensur; starb er nun an AIDS, an Geiz oder weil er seine Mutter zu sehr liebte; war er völlig unpolitisch oder viel mehr als das, absolut politically correct, wie Goytisolo berichtet; wie sah sein Liebesleben aus; sein Spiel mit den Geschlechterrollen; seine Verehrung der Hollywooddiven Rita Hay-worth, Greta Garbo, Marlene Dietrich und anderen; viel Klatsch und Tratsch, jede Menge Anekdoten, die einem vor Lachen Tränen in die Augen treiben; auch Momente voller Tragik und Dramatik: Puigs fast chronische Unzufriedenheit über die schleppende Rezeption seiner Bücher, sein erbittertes Klagen "man hätte ihn, den ehemaligen Bestsellerautoren, in Argentinien vergessen"; sein plötzlicher Tod und dessen Begleitumstände: seine Mutter im Leichenschauhaus, die da flüstert:"¿No está divino?; die argentinische Schriftstellerin Tununa Mercado - langjährige Freundin Puigs - liest aus ihrer Kurzgeschichte No me digas adiós vor, während im Hintergrund Bilder aus dem Holly-woodfilm "Swimming Beauty" mit Esther Williams ablaufen, und später singt Carlos Gardel herzerweichendes "Sus ojos se cerraron"...

 

Es folgen weitere "Sprünge": Argentinische Schriftsteller, Professoren und Literaturkritiker nehmen Stellung zu der literarischen Bedeutung seiner Romane, erläutern den erneuernden Bruch in der argentinischen Literatur, der eingeläutet wurde mit dem Erscheinen seiner ersten zwei Bücher La traición de Rita Hayworth und Boquitas pintadas; zerpflücken seine typischen Stilmittel und geben ungewöhnliche - weil stets sehr subjektive - Einblicke in die puigsche Literaturwelt.

 

Dem Anwender präsentieren sich über 50 Zeitungsinterviews, in denen Manuel Puig über seine Romane, Romanpersonen, Intentionen, seinem eigenem Leben, seinem politischen Selbstverständnis, zu Fragen der Sexualität Stellung nimmt, und stets begegnet uns eine Persönlichkeit, die die spanische Schriftstellerin und Journalsitin Rosa Montero 1988 in El País Semanal folgendermaßen umschreibt: "... pocas veces he conocido personas que aparentaran una sinceridad tan despojada de cosmética...".

 

Ein Bonbon für die persönliche, hauseigene wissenschaftliche 'Puigmappe': per Mausklick wird der Druckvorgang der jeweiligen Texte ausgelöst und ergänzt sich zu einem wohl 400 Seiten umfassenden Kompendium. Wer die Schwierigkeit kennt, an diese bis zu 30 Jahre alten Interviews heranzukommen, weiß zu schätzen, statt der ewigen drei bis fünf Originalinterviews, die in Universitätszeitschriften veröffentlicht wurden und daher relativ leicht zugänglich sind, nun plötzlich Zugriff auf 50 Artikel zu haben, die - zusammengetragen aus ganz Südamerika und Spanien - den Zeitraum von 1968 bis 1995 abdecken.

 

Ein 'Jupiter' verbirgt sich auf der 2. CD-ROM: Aufnahmen von Manuel Puig als er 1981 in der Universität Göttingen Studenten und Professoren Rede und Antwort stand. In nahezu erschütternd einfachen Sätzen, fast nach Worten ringend, aber dennoch stets voller Ironie und Humor, erklingt in den Gehörgängen des Anwenders die Stimme eines Mannes, der in wenigen Minuten das erläutert, wozu die Sekundärliteratur sich auf hunderten von zermürbenden Seiten ergeht.

 

In einem Interview erklärt Gerd Tepass:

 

"Mein Ziel war es, eine Biografie mit den typischen Stilmitteln Manuel Puigs zu erstellen. So wie Puig in seinen Romanen aus den unterschiedlichsten, meist als traditio-nellerweise nicht-literarisch zu bezeichnenden Bereichen, wie z.B. Zeitungsartikel, Briefe, Tangoliedern, Zitate aus alten Hollywoodfilmen, Todesanzeigen und vielem anderem mehr ein Gewitter der Gefühle und Spannung bildete, ermöglichte mir das Medium der CD-ROM analog ähnliches zu leisten: mehrstündige Interviewschnipsel, Fotos, Zeitungsartikel, Filme, Videos, Briefe, Collagen und Karikaturen, Originalaufnahmen von Manuel Puig, Buchrezensionen und auch Tangolieder oder Popsongs sollen versuchen, die unterschiedlichen Aspekte eines der - meiner Ansicht nach - ungewöhnlichsten und schrill schillerndsten lateinamerikanischen Autoren näherzubringen. Es ist wichtig folgendes zu wissen: Puig durchbrach als erster südamerikanischer Autor mit seinen anfänglich als Kitschliteratur verschrieenen Romanen die Grenze zwischen sogenannter 'hoher' und 'niedriger' Literatur. Ein Leitgedanke beim Aufbau meiner Magisterarbeit war, ähnliches auf einer ganz anderen Ebene zu versuchen: die Auflösung der Grenze zwischen 'wissenschaftlich' und 'unwissenschaftlich'. Dies spiegelt sich darin wider, daß ich an keiner Stelle auf der CD-ROM das dargebotene Material weder werte noch kommentiere; es existiert nicht eine einzige Fußnote, das Material soll für und auch gegen sich sprechen, sich selbst erklären oder auch ad absurdum führen; ich persönlich fungiere nur als Dokumentator und bin als 'Autor' nicht existent; ich glaube, dies ist bis dato die - im herkömmlichen Sinne natürlich - unwissenschaftlichste Magisterarbeit der Universität zu Köln."

 

"Los personajes de mis novelas son todos posibilidades mías. Yo soy ellos...".

[Manuel Puig]

 

Diese biographische Annäherung an Manuel Puig auf CD-ROM ist zweifelsohne ein Plädoyer für eine - in Europa noch immer recht verpönte - biographischere Betrachtungsweise seines Werkes und verhilft, jenen Menschen sichtbar zu machen, der seine Spuren als Erzähler in seinen Werken bis zur Unkenntlichkeit verwischt hatte, sich aber dennoch hinter vielen seiner Personen verbarg und über den seine Freundinnen und Freunde sagten: "Su vida superó a la de sus personajes en su obra literaria.".

 

Gerd Tepass: Manuel Puig. Una aproximación biográfica a partir de materiales del período comprendido entre 1968 y 1995." 1997. 49,00 DM

Die CD-Rom ist erhältlich über:

tel.Best.: 030 - 446 38 87

Ikebana-prod.

Greifenhagener Str. 28

10437 Berlin

per email: tepass@peito.de