Die zweifache Bedrohung aus dem Westen

Wie El Niño und asiatische Holzkonzerne Mensch und Umwelt in Lateinamerika bedrohen

von Torsten Eßer

Schneisen und Straßen werden in den Wald geschlagen, die großen und alten Bäume der profitträchtigen Holzarten (Mahagoni, Palisander etc.) werden gefällt und abtransportiert. Die Tiere werden vertrieben oder von nachfolgenden Wilderern oftmals mit Maschinenpistolen erlegt. Der Rest der Bäume wird abgeholzt und entweder zu Holzkohle verarbeitet oder schlichtweg verbrannt, damit die Fläche als Feld oder Weide genutzt werden kann. Da der Boden eines tropischen Regenwaldes so nährstoffarm wie Steppenboden ist, weil über 90 Prozent der Nährstoffe in der Vegetation stecken, reichen Nähr- und Stickstoffe aus der Asche gerade einmal 2-5 Jahre, um Land- oder Weidewirtschaft betreiben zu können. Zurück bleibt Wüstenboden. Den Rest der Umweltzerstörung besorgen dann Kolonisten und Goldwäscher.

 

Da das Abholzen des Waldes in Brasilien ein Synonym für Entwicklung ist und subventioniert wird, und weil ein Waldbesitzer für ein Stück bewaldeten Landes mehr Steuern zahlen muß als für ein abgebranntes, ist es nicht verwunderlich, daß nach vorsichtigen Schätzungen bisher 470.000 Quadratkilometer Regenwald am Amazonas vernichtet wurden. In Paragominas zum Beispiel gibt es ca. 150 Sägewerke, Holzstaub verklebt den Bewohnern die Atemwege. Im Umkreis von 200 km steht kein verwertbarer Baum mehr. Trotzdem geht der Raubbau weiter.

 

Mondlandschaft auch in Marabá, wo die Rauchwolken so dicht sind wie vor kurzem in Indonesien. Nur gibt es sie hier das ganze Jahr über. Hier ist die Sonne manchmal tagelang verschwunden. Die Krankenstation ist überfüllt mit asthmatischen Menschen. So wird die brasilianische Regierung, die gegen illegale Abholzung nichts unternimmt, nicht nur zum Mittäter bei der Vernichtung des Waldes, sondern auch bei der Mißhandlung ihrer Bevölkerung.

 

'Termiten' aus Asien

 

Gemeinsam mit tausenden von Kleinbauern und einheimischen Großgrund- und Sägewerksbesitzern vernichten neuerdings auch asiatische Holzkonzerne den Regenwald in Lateinamerika. Nachdem sie ihre eigenen Landschaften schon erfolgreich kahlgeschlagen haben, beginnen sie jetzt auf der Suche nach neuem Profit, den Amazonaswald zu zerstören.

 

Seitdem die Regierung Cardoso in Brasilien mit der umstrittenen Privatisierung von Urwaldgebieten begonnen hat, stehen die Asiaten Schlange. Im Bundesstaat Pará sind 685.000 ha zur Abholzung freigegeben. Einige tausend der nach diesem Bundesstaat benannten und theoretisch streng geschützten Paranußbäume fielen dem Einschlag und den Brandrodungen schon zum Opfer, denn die asiatischen 'Termiten' arbeiten schneller und gründlicher als die Einheimischen oder als Blattschneiderameisen. Wo sie waren, wächst kein Halm mehr. Der Wald wird verschleudert: die malayische Firma WTK kaufte für acht Dollar pro Hektar gleich 300.000 ha zum Abholzen. Malaysias größter Holzkonzern, der sich zynischerweise 'Rimbunan Hijau' (Grüner Wald) nennt, kaufte sich in Belém in das Holzunternehmen Maginco Verde ein, das über riesige Einschlagkonzessionen verfügt. So übernehmen asiatische Unternehmen schrittweise die Holzwirtschaft im Amazonasgebiet. In Guyana sind die Singalesen im Geschäft, sie kauften die staatliche Holzgesellschaft. Und in Surinam vergab die korrupte Regierung gegen hohe Bestechungsgelder Konzessionen zum Schlagen von Edelhölzern ohne Auflagen an drei Unternehmen aus Indonesien und Malaysia. Es handelt sich um 2,8 Millionen ha Fläche, was etwa 1/4 der Landesfläche entspricht. Der Holzhunger der Asiaten ist so groß, daß vom bisher kaum berührten Dschungel nicht viel übrig bleiben dürfte. Aber wenn schon deutsche Wissenschaftler, darunter viele Nobelpreisträger, im 'Heidelberger Appell' (1993) die Ökologie als "Ausgeburt einer irrationalen Ideologie" bezeichnen, "die sich dem wissenschaftlichen und industriellen Fortschritt widersetzt", kann man nicht erwarten, daß hungernde Indios, geldgierige Großgrundbesitzer und ignorante Großkonzerne sich um die Belange zukünftiger Generationen scheren.

 

Interregionale Kooperation

 

Das Engagement der asiatischen Konzerne in Lateinamerika wird durch die enger werdenden Verflechtungen zwischen beiden Regionen vereinfacht. Über Organisationen wie APEC, PBEC oder PECC knüpfen sowohl Regierungen als auch Unternehmer neue Bande. Interessant für die Asiaten ist in diesem Zusammenhang, daß die Zölle auf Holz und Holzprodukte in den lateinamerikanischen Staaten noch relativ hoch sind, aber für APEC-Mitglieder demnächst entfallen werden. Auch sehen die asiatischen Staaten die lateinamerikanischen APEC-Mitglieder als Verbindung zum MERCOSUR oder zur NAFTA und somit auch zu den Märkten der USA an. Dies ist auch ein Aspekt des Handelskooperationsabkommens zwischen Taiwan und Zentralamerika. Taiwan unterstützt des weiteren die Beitrittsbestrebungen der zentralamerikanischen Staaten zur APEC. Im Gegenzug unterstützen diese Taiwans Wiederaufnahme in die UNO, aus der es 1971 auf chinesisches Betreiben ausgeschlossen worden war. Mexiko schloß kürzlich ein bilaterales Handels- und Investitionsabkommen mit Thailand ab. Die wichtigste institutionelle Brücke zwischen beiden Kontinenten bleibt jedoch APEC.

 

Die Möglichkeit, voneinander zu lernen, ist unter den beschriebenen Zuständen kaum gegeben. Asiaten wie Amerikaner und Europäer nutzen Lateinamerika hauptsächlich als billigen Rohstofflieferanten. Aber auch die verschiedenen kulturellen und religiösen Hintergründe lassen eine wechselseitige Befruchtung Asiens und Lateinamerikas schwierig erscheinen: Der südostasiatische Wirtschaftsboom ist u.a. auf die erfolgreiche Verbindung von kapitalistischem Gedankengut mit Elementen der konfuzianischen Ethik (Disziplin, Fleiß, Obrigkeitsfurcht) zurückzuführen.

 

Der Einzelne ordnet sich dem von oben bestimmten Gemeinwohl unter, dabei fallen Demokratisierungsbestrebungen oftmals 'hinten runter'. In Lateinamerika hingegen bestimmen weitestgehend Christentum, abendländische Werte und Verhaltensweisen das Verhältnis zwischen Mensch, Staat und Wirtschaft. Dieses individualisierte Menschenbild führte zu stärkeren Reformen bei der Demokratisierung, auch wenn noch vieles zu tun bleibt. Die Schattenseiten, vor allem die Umweltzerstörung als Preis für wirtschaftliches Wachstum und die ungleiche Verteilung der Gewinne aus diesem Wachstum sind allerdings in beiden Regionen gleich. In näherer Zukunft führen die divergierenden Denk- und Verhaltensmuster wohl kaum zu einer wirklichen Annäherung der beiden Regionen, sieht man einmal von der oben beschriebenen 'Wirtschaftskooperation' einiger Länder ab.

 

Der globale Sündenbock

 

El Niño trägt an den Bränden in Asien und Lateinamerika keine Schuld, höchstens insofern, als durch dieses Wetterphänomen einige Landstriche besonders ausgetrocknet waren. Das Feuer legten Menschen. Ähnlich absurd wäre es, würde man El Niño für die radikalen Kurseinbrüche an den Börsen verantwortlich machen, die sich von Asien ausgehend zu den Börsen der Welt fortpflanzten, auch bis nach Lateinamerika.

 

Hurrikan Pauline in Mexiko, Hagelorkane in Bolivien, Überschwemmungen in Peru, sintflutartige Wolkenbrüche in der Atacama-Wüste und in Paraguay, Trockenheit in Brasilien und bedrohte Ernten von Mexiko bis Chile, das sind Folgen von El Niño. Trotzdem ist El Niño keine globale Umweltkatastrophe, wie Politiker auf der ganzen Welt nicht müde werden zu betonen. Das Phänomen existiert höchstwahrscheinlich seit Jahrmillionen, und schon immer mußten die Menschen mit ihm umgehen. Nun aber will man alle Schädigungen der Umwelt El Niño zuschreiben und von den durch Menschen verursachten Zerstörungen ablenken. Im Gegenteil spricht sogar einiges dafür, daß z.B. der anthropogen verursachte Treibhauseffekt Auswirkungen auf die Meeresströmungen hat, denn niemals gab es so viele heftige El Niños so kurz hintereinander wie in der letzten Dekade. Die Aufheizung der Erde verstärkt die Wirkung von El Niño-Phänomenen, wie Modellrechnungen der Klimaforscher andeuten. Auch das Abbrennen des brasilianischen Regenwaldes trägt wahrscheinlich zur Entstehung dieses Wetterphänomens bei.

 

Bei El Niño handelt es sich um eine gewaltige Warmwassermasse, die im Pazifik zwischen Asien und Amerika entsteht. Stark erwärmtes Wasser mit einer Oberflächenausdehnung so groß wie die USA drängt gegen die Küsten Amerikas. Die 'Südliche Oszillation' läßt das Wasser des Pazifiks wie in einer Badewanne sehr langsam von Ost nach West und wieder zurück schwappen. Dabei treiben normalerweise östliche Passatwinde das warme Oberflächenwasser an die Küsten Asiens. Der Meeresspiegel vor Indonesien liegt dann 60cm höher als in Peru. Es bilden sich Wolken, die als Monsun in Südostasien abregnen. In El Niño-Jahren bleiben allerdings die Passate aus. Das warme Wasser dehnt sich aus und strömt nach Amerika und mit ihm die Wolken, welche die Unwetter bringen. Zusätzlich lädt erhöhte Verdunstung die Atmosphäre mit Energie auf und erwärmt sie, so daß Wirbelstürme entstehen. Das vier Grad wärmere und nährstoffärmere Wasser überlagert dann den kühleren und nährstoffreichen Humboldtstrom.

 

Schon immer waren den peruanischen Fischern die Folgen 'kleiner' El Niños bekannt. Jedes Jahr um Weihnachten (daher tauften sie das Phänomen El Niño: das Christkind) blieben die Sardellenschwärme aus, weil das Wasser sich erwärmte und nährstoffärmer wurde. Dafür fingen die Fischer auf einmal Hammerhaie, die sonst das kältere Wasser des Humboldtstromes meiden. Die Archäologen glauben, daß El Niño-Katastrophen schon vor Hunderten von Jahren für den Untergang von Hochkulturen wie Labayeque und Moche mitverantwortlich waren.

 

1982/83 suchte der heftigste El Niño dieses Jahrhunderts den Pazifik heim. 2.000 Menschen starben an seinen direkten und indirekten Folgen, es entstand ein Sachschaden in Höhe von etwa 14 Milliarden DM. Auch jetzt sind schon viele Menschen durch schwere Stürme und Regenfälle ums Leben gekommen, in Ekuador sind es bisher 70. Die indirekten Folgen El Niños betreffen die Menschen ähnlich stark wie er selbst.

 

Peruanische Fisch-mehlfabriken müssen schließen, in Überschwemmungsgebieten vermehren sich die Krankheitsüberträger (Malariamücke), unhygienische Zustände verursachen Cholera und andere Krankheiten und fordern möglicherweise tausende von Opfern. Manche Menschen sind allerdings auch froh, daß es El Niño gibt. Perus Präsident Alberto Fujimori kann seinen ramponierten Ruf nun durch den Kampf gegen den Himmel aufbessern, während er durch das Land reist, die Katastrophenschutzmaßnahmen begutachtet und Hilfsgelder von der Weltbank verteilt.