Literarische Spaziergänge durch Lissabon

Ein literarisches Portrait herausgegeben von Ellen Heinemann

von Johannes Beck

Quem não viu Lisboa, não viu coisa boa (Wer Lissabon nicht gesehen hat, der hat nichts Schönes gesehen). So beschrieb der portugiesische Dichter António Nobre die Stadt am Tejo. Sicherlich etwas übertrieben, aber der Charme Lissabons brachte nicht nur ihn zu entzückten Lobrufen. Einige dieser Lobrufe hat nun Ellen Heinemann in ihrem Literarischen Portrait zu Lissabon zusammengestellt.

 

Aufsätze ausländischer Autoren und Autorinnen wechseln sich mit portugiesischen Schriftstellern und Schriftstellerinnen ab. Darunter finden wir Klassiker der Weltliteratur wie Jorge Amado, Eça de Queiroz, Fernando Pessoa, José Saramago oder António Lobo Antunes sowie deutsche Autoren, die für ihre Artikel zu Portugal berühmt geworden sind, wie Curt Meyer-Clason oder Hans Magnus Enzensberger. Besonderen Wert hat die Herausgeberin jedoch darauf gelegt, vergessene Werke ausfindig zu machen.

 

Ausgeschmückt wird das Buch durch viele alte Kupferstiche und Lithographien sowie einigen neueren Photographien. Leider leidet die Darstellung darunter, daß diese selten mehr als eine drittel Seite einnehmen. Vielleicht wären weniger, aber dafür größer dargestellte Photos und Stiche besser gewesen. Oft ist von den prächtigen Originalen kaum mehr etwas zu erkennen.

 

Ellen Heinemann hat die Aufsätze unter thematischen Gesichtspunkten neu gruppiert. Teilweise sind dabei einige Werke in mehrere Teile 'zerstückelt' und verschiedenen Kapiteln zugeordnet worden. Am Anfang des Buches stehen die Kapitel Geographische Lage und Klima, Ankunft und Erste Eindrücke. Nach einigen Artikeln zu Menschen, Sitten und Gebräuchen und einem kurzen Exkurs zum verheerenden Erdbeben vom 1. November 1755 folgen die Abschnitte zu den einzelnen Lissabonner Stadtteilen. Darunter sind sowohl die touristischen Klassiker wie die Alfama, das Bairro Alto, der Chiado oder Belém, aber auch eher entlegene, dafür aber nicht weniger interessante, wie Benfica oder Xabregas. Den Abschluß des literarischen Reigens bilden die Schilderungen des modernen Zentrum Lissabons, der Avenidas Novas.

 

Am Ende des Buches steht neben dem Nachwort und dem Quellennachweis eine kurze Zeittafel zur Stadtgeschichte. Diese endet aber schon 1988, als ob seither nichts Wichtiges in Lissabon passiert wäre. Lissabon als Kulturhauptstadt Europas 1994 bleibt ebenso unerwähnt wie die Eröffnung des Centro Cultural de Belém 1992 oder die EXPO '98. Das Inhaltsverzeichnis steht kurioserweise - für deutsche Leser eher ungewohnt - am Ende. Da hat wohl das portugiesische Vorbild Pate gestanden.

 

Die literarischen Texte hinterlassen etwas den Eindruck eines Gemischtwarenhändler. Völlig belanglose Aufsätze - vielleicht hat die Herausgeberin da etwas zu viel Wert darauf gelegt, Unbekanntes zu präsentieren - wechseln sich mit wirklichen Glanzstücken ab. Zu den letzteren zählen beispielsweise der bisher unerreichte Aufsatz von Hans Magnus Enzensberger zur Lissabonner Straßenbahn, dem Eléctrico, ursprünglich 1987 in seinem Band Ach, Europa! erschienen. Oder die bedrückende Schilderung eines Inquisitionsgerichtes durch Michael Geddes von 1703. Über hundert Jahre älter aber nicht weniger betrüblich sind die Ausführungen von Baron Wilhelm Ludwig von Eschwege, dem deutschen Architekten des Palácio da Pena in Sintra, zur haltlosen Situation im ehemaligen Lissabonner Gefängnis Limoeiro. Erheiternder ist dagegen die fantastisch beobachtete Darstellung des Mikrokosmos Café durch Helmut Brühl aus dem Jahr 1957.

 

Absoluter Höhepunkt des Buches sind die Reportagen von José Cardoso Pires zur Nelkenrevolution auf der Praça do Carmo und von Curt Meyer-Clason, damals noch Direktor des Goethe-Institutes in Lissabon, zur Besichtigung des Hauptquartiers der PIDE (port. Stasi) am Tag nach dem Sturz des Caetano-Regimes.

 

Vielleicht sollten bei einer Neuauflage einige der weniger gelungenen älteren Aufsätze ersetzt werden. Warum nicht die langweilige Beschreibung eines Stierkampfes im Campo Pequeno durch die blutrünstige Gräfin Ida Hahn-Hahn, die schmerzlich beklagt, daß die Stiere in Portugal nicht in der Arena getötet werden, durch die Schilderung des fiktiven Treffens von Fernando Pessoa und Antonio Tabucchi im Alcântara-Café aus dem Buch Lissabonner Requiem ersetzen? Bei der Gelegenheit könnte die Herausgeberin auch die Ortsrechtschreibung vereinheitlichen. Es ist kein besonderer Augenschmaus, mit verschiedensten Versionen für ein und denselben Ort konfrontiert zu werden.

 

Trotz der Mängel kann Ellen Heinemanns literarisches Portrait auf jeden Fall empfohlen werden, da es durch seine einzelnen Artikel einen guten Blick auf die Vielfalt dieser faszinierenden Stadt Lissabon wirft.

 

Ellen Heinemann (Hrsg.): Lissabon. Ein literarisches Portrait. Frankfurt am Main/ Leipzig, Insel Verlag, 1997. 400 Seiten. 22,80 DM.