Der Ball ist rund und Tore lauern überall

Über Eduardo Galleanos Fussballbuch

von Klaus Jetz

Eduardo Galeano, der linksintellektuelle Historiker und Journalist aus Uruguay, ist hierzulande nicht nur dem Lesepublikum mit einem ausgeprägten Interesse an Lateinamerika ein Begriff. Seine kritische, historische Darstellung der 'Offenen Adern Lateinamerikas', Galeanos ganz persönliche Abrechnung mit der neo-kolonialistisch-imperialistischen Einflußnahme Nordamerikas und Europas in Lateinamerika, avancierte in den 70er Jahren auch in Deutschland zu einer Pflichtlektüre für jeden Internationalisten. Seine dreibändigen Erinnerungen an das Feuer aus den 80er Jahren wiederum zeichnen die wichtigsten geistigen und historischen Strömungen des Subkontinents und dessen revolutionäre Entwicklungen von Mexiko über Kuba bis Nicaragua nach. In seinen Werken, die in hohen Auflagen erscheinen, gelingt es Galeano wie kaum einem anderen lateinamerikanischen Autor, die einschneidenden Ereignisse des Kontinents nicht nur in einer gründlich recherchierten und literarisch ansprechenden Weise, sondern auch in einer äußerst populären Sprache (seine zahlreichen Kontrahenten in Lateinamerika würden sagen, in einer demagogischen Sprache) darzustellen. Heute gilt Galeano als kompromißloser Gegner des Neoliberalismus, ein Grund mehr für konservative Journalisten, ihn zur Hauptzielscheibe zu machen in einem (noch nicht übersetzten) neoliberalen Pamphlet mit dem Titel'Handbuch des perfekten lateinamerikanischen Idioten, das im letzten Jahr auf den spanischspra-chigen Buchmarkt lanciert wurde.

 

Wie aber kommt Eduardo Galeano dazu, ein Buch über Fußball zu schreiben? Diese Frage schien dem Autor derart legitim, daß er die Antwort gleich mitlieferte: ”Ich wollte etwas schreiben, das dieser großen heidnischen Messe würdig wäre, die so viele Sprachen zu sprechen vermag und so unterschiedliche Leidenschaften wecken kann. Schreibend wollte ich mit den Händen das tun, was ich mit den Füßen nie zu tun vermochte.” Aber dem Fußballfan und Historiker Galeano ging es keineswegs um das kolossale Unterfangen, eine Geschichte des Fußballs, gar des lateinamerikanischen Fußballs zu schreiben. Der Ball ist rund... liefert vielmehr Episoden und Anekdoten, beschreibt Sternstunden des lateinamerikanischen und, in geringerem Umfang, europäischen (auch deutschen) Fußballs vom Beginn des Jahrhunderts bis zur WM 1994, wobei der Schwerpunkt natürlich auf der Region des Rio de la Plata und Brasilien sowie Italien liegt, da viele argentinische Fußballer italienischen Ursprungs sind und waren oder aber nach Italien gingen, um für den AC Mailand oder den AS Rom zu spielen.

 

Zunächst geht der Autor jedoch auf die Ursprünge des Ballspiels bei den Mayas und Inkas, in China und im mittelalterlichen England ein, wobei er historische Parallelen aufdeckt und interessante Quellen präsentiert, etwa Urkunden Edwards II. oder Werke Shakespeares, in denen das Ballspiel Erwähnung findet. Zugleich aber kritisiert Galeano in seinen kurzen, anekdotenhaften Kapiteln auch die Kommerzialisierung des modernen Fußballs, die übertriebene Professionalisierung, die Reduzierung der elf Spieler auf Angestellte eines Industrieunternehmens wie Juventus Turin, Borussia Mönchengladbach oder Atlético Madrid. Dennoch handelt es sich bei Galeanos Fußballbuch nicht um eine Kritik des Fußballs, am ehesten noch um eine Hommage an das Ballspiel, weshalb der Originaltitel El fútbol a sol y sombra (”Sonnen- und Schatten(seiten) des Fußballs”) dem Buch weitaus gerechter wird als der etwas willkürliche, nichtssagende Titel der deutschen Übersetzung.

 

Also keine zusammenhängende Geschichte, keine WM- oder gar chronologische Geschichte des lateinamerikanischen Fußballs. Es fehlt der berühmte rote Faden, einige Anekdoten können vom Leser übergangen werden, ohne daß sich Lücken auftun. Gerade dies aber macht die 'leicht verdauliche' Lektüre so angenehm. Jedes Kapitel, jeder Artikel ist ein kleines journalistisch-literarisches Werk für sich, erzählt zudem ein besonderes Ereignis, eben eine Anekdote, oder ein oder mehrere bisher unbekannte Details, die geeignet sind, den Leser in Erstaunen zu versetzten. Wer weiß schon, daß 1916 Uruguay das einzige Land der Welt war, in dessen Nationalmannschaft Schwarze spielten? Daß nicht Pelé der größte Torjäger des (brasilianischen) Fußballs war, sondern Artur Friedenreich, Sohn eines deutschen Einwanderers und einer brasilianischen Waschfrau? Wo sonst ist nachzulesen, daß Europa Uruguays Bewerbung als Austragungsort der ersten WM als Frechheit ansah und folglich nur vier europäische Nationalmannschaften an der Weltmeisterschaft teilnahmen? Während in diesen Anekdoten aus der Welt des Fußballs die journalistisch-essayistische Sprache auch ironisch-spöttische Züge aufweist, dominiert in den historischen, oftmals einleitenden Absätzen ein enzyklopädischer Stil, der den Zeitgeist wiedergibt.

 

Wie schon in Die offenen Adern Lateinamerikas, seinem frühen Werk, das eine Reihe (oftmals skurriler) historischer Schilderungen, etwa über die Allüren karibischer Diktatoren oder das Gebaren nordamerikanischer Abenteurer auf dem mittelamerikanischen Isthmus enthält, so entpuppt sich Galeano auch in seinem Fußballbuch als Meister der spannenden Anekdote. Fußball- und Lateinamerikafans werden begeistert sein, denn es geht um lateinamerikanischen Fußball (Maradona, Pelé), den sprichwörtlichen 'künstlerischen Fußball' der mexikanischen, brasilianischen oder kolumbianischen Mannschaften. Aber auch LeserInnen, die eine völlig leidenschaftslose Einstellung zum Fußball haben, werden auf ihre Kosten kommen und vielleicht nach der Lektüre feststellen, daß ihnen die Welt dieser 'großen heidnischen Messe' ein wenig vertrauter geworden ist.

 

Eduardo Galeano: Der Ball ist rund und Tore lauern überall. Aus dem uruguayischen Spanisch von Lutz Kliche. Wuppertal, Peter Hammer Verlag, 1997. 277 Seiten. 29,80 DM.