Die 8. Kunst - erste aller Künste

Eine novela gráfica von António Jorge Gonçalves und Rui Zink

von Marc Benner

"Mein Name ist Idalina. Ich weiß, ich bin nicht mehr besonders hübsch. Stimmt schon. Eigentlich war ich es auch nie. Der da ist mein Mann. Er schläft wie ein Schwein. So etwas sollte ich nicht sagen. Er arbeitet wie ein Ochse."

 

Unbeteiligt und kurz angebunden führt sie sich ein, die Hauptperson in dieser ersten Zusammenarbeit des portugiesischen Zeichners António Jorge Gonçalves ("Filipe Seems") und des Romanautors Rui Zink ("Hotel Lusitano"). Unauffällig und monoton war Idalinas Leben, bis zu jenem Tag, an dem "ihre Geschichte, ihr Leben" beginnt. Unscheinbar ist sie selbst, klein, haarig, runzlig, und auf den ersten Blick sperren sich die Zeichnungen Gonçalves' dagegen, sie überhaupt freizugeben, sie in den Mittelpunkt zu rücken; sie verschwindet fast zwischen den schwarzen, weißen und grauen Kolossen und unfaßbaren Monstren, die sie umgeben: der Stadt, den Menschen, ihren Aufgaben und täglichen Wegen. Aber der Blick gewöhnt sich schnell um, und Gonçalves' genialer und simpler Trick, den Leser permanent auf die Suche nach Idalina zu schicken und sie so ins Zentrum zu rücken und ihre Perspektive aufzuzwingen, funktioniert perfekt schon ab der ersten Seite.

 

Idalinas Leben: Die nahe Zukunft, die Übergabe Macaus an das "Mutterland" China. Einmal mehr steht die Welt kurz vor dem Chaos und das kleine Portugal darf endlich einmal wieder eine Rolle darin spielen. Durch einen Zufall wird Idalina aus ihrem ereignislosen Leben mitten hineingezogen und mischt mit. Sie tut genau das, was sie schon vorher getan hat, schweigen, putzen, und: ihren Tanz tanzen, den universellen Tanz, der sie leicht, aufrecht und unberührbar macht, und der auch im fernen Macau verstanden wird.

 

Portugal ("Trau niemals einem Land, dessen letzte Kolonie ein Spielkasino ist")* und Idalina stehen Größeren im Weg und werden aus demselben geräumt. Idalina tritt vor das jüngste Gericht, und nach einem Tanz vor den himmlischen Heerscharen der Barbies wird sie zurück ins Leben geschickt...

 

Typisch Portugiesisch? Allegorie auf Größe und Vergänglichkeit Portugals? Saudades? Wer will das wissen? Gonçalves/Zink legen eines der atemberaubendsten Alben vor, das in Deutschland jemals nicht erschienen ist. Die unaufdringliche und unentrinnbare Bildsprache in Kombination mit den so spärlichen wie punktgenauen Textpassagen ist lateineuropäische Comic-Kunst in höchster Form.

 

António Jorge Gon-çalves/Rui Zink: A arte suprema. Uma novela gráfica. Edições Asa, Lisboa, 1997. 153 Seiten. 1900 Esc.

 

Kontakt: Edições Asa, R. Már-tires da Liberdade, 77 Apartado 4263/4004 PORTO CODEX Portugal