Im Namen der Klimagerechtigkeit

Kleinbauer aus Peru klagt gegen deutschen Energiekonzern

Erstmals wird in Europa ein Unternehmen als Mitverursacher des Klimawandels rechtlich in die Verantwortung gezogen. Die erheblichen Emissionsmengen des deutschen Energiekonzerns RWE haben Einfluss auf globale klimatische Veränderungen. In Peru hat der Kleinbauer Saúl Luciano Lliuya Klage gegen RWE eingereicht. Der steigende Wasserspiegel eines Gletschersees gefährdet Lliuyas Familie und Haus sowie einen großen Teil seiner Heimatstadt Huaraz. Es droht eine Flutkatastrophe, wenn Eisbrocken des Gletschers in den See stürzen. RWE soll sich an den notwendigen Sicherungsmaßnahmen beteiligen. Doch lässt sich die Verantwortung für die Folgen des von Menschen verursachten Klimawandels mit den Kategorien des Rechts erfassen?

 von Will Frank

Die fortschreitende Gletscherschmelze in den Anden ist eine Folge des Klimawandels. Eine Ursache der derzeitigen klimatischen Veränderungen sind vor allem die Treibhausgase (THG), die bei der Verbrennung fossiler Energieträger – Kohle, Mineralöl und Erdgas – freigesetzt werden. Saúl Luciano Lliuya kennt sich in der Welt der Gletscher und Berge aus. Er ist Landwirt und Bergführer und lebt in Huaraz, einer Stadt am Hang der peruanischen Anden. Die Palacaraju- und Pucarana-Gletscher, die das Tal oberhalb von Huaraz abschließen, schmelzen infolge der globalen Erwärmung immer schneller. Der Wasserspiegel des Palachao-Gletschersees unterhalb der Gletscher ist deshalb schon um mehrere Meter angestiegen. Jederzeit können große Teile des brüchig gewordenen Gletschereises in den See stürzen und eine gewaltige Flutwelle auslösen. Für die Bewohner der unterhalb des Gletschersees gelegenen Region von Huaraz wären Zerstorung und Tod die Folge. Anfang des Jahres hat die Regionalbehörde wegen des weiter ansteigenden Wasserstandes in dem Bergsee den Notstand ausgerufen. Eine mögliche Lösung wäre das Abpumpen des Wassers aus dem See. Wäre es nicht gerecht und ökonomisch sinnvoll, Verursacher des globalen Klimawandels, die von der Nutzung der fossilen Energieträger profi tieren, auch an den Folgekosten zu beteiligen? Dieser Meinung ist Lliuya.

 

Von Huaraz nach Essen 

 

Der peruanische Landwirt hat die deutsche Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen, eine Spezialistin für Umweltrecht, beauftragt, sein Anliegen vor Gericht zu vertreten. Geklagt wird in Essen gegen das deutsche Unternehmen RWE, einen der führenden Energiekonzerne in Europa. Das Gericht soll feststellen, dass sich RWE als Mitverursacher des Klimawandels an den Kosten zur Beseitigung der akuten Gefährdung des Gebiets unterhalb des Bergsees beteiligen muss. Und zwar anteilig entsprechend dem Beitrag der von RWE emittierten Treibhausgase an der Gesamtbelastung der Atmosphäre durch Treibhausgase. Der Anspruch bewegt sich in der Größenordnung von 20.000 Euro. Der Betrag ist nicht hoch, macht aber die Mitverantwortung von RWE – und exemplarisch von allen anderen THGEmittenten – für den Klimawandel und seine Folgen deutlich. 

 

Die Klage stützt sich auf den Eigentumsschutz nach § 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Dort heißt es: „Wird der Eigentümer in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer Beseitigung der Störung verlangen.“Ähnliche Schutzregeln bestehen auch in anderen Rechtsordnungen, etwa im anglo-amerikanischen Common Law nach den Haftungsgrundsätzen für nuisance (Beeinträchtigungen). Lliuyas Klage wird unterstützt von Germanwatch, einer deutschen Nichtregierungsorganisation, die sich für den Klimaschutz einsetzt. Durch den Musterprozess soll Menschen, die wie in Huaraz durch die Auswirkungen des Klimawandels bedroht werden, geholfen werden. Unternehmen in der Energiebranche sollen erkennen, dass ein schnelleres Umsteuern auf alternative Energieträger wegen der Haftungsrisiken auch in ihrem Interesse liegt.

 

Anwendung geltenden Rechts auf ein neues Phänomen 

 

In der juristischen Terminologie handelt es sich bei den auf die Treibhausgasemissionen (THG) zurückzuführenden Folgeschäden um „Distanz- und Summationsschäden“. Bei Schäden dieses Typs kann es in der Tat schwierig sein, einen rechtlich relevanten „individualisierbaren“ Kausalzusammenhang zwischen Ursache und Folgen zu belegen. So argumentiert RWE. Der Konzern verweist dazu auf den „Waldschadensfall“. Der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht haben eine Entschädigungspfl icht des Staates für Waldschäden ver meint, die durch Schwefeldioxid-Emissionen (SO2-Abgase) von Kraftwerken und den darauf zurückzuführenden sauren Regen verursacht worden waren. Es ließ sich nicht ausschließen, so begründeten beide Gerichte ihre Entscheidungen, dass einzelne der Schwefeldioxid emittierenden Kraftwerke, für die der Staat einstehen sollte, keinen Schadensbeitrag verursacht hatten. 

 

Bei Treibhausgasen ist das anders: Alle THG-Emissionen führen völlig unabhängig davon, wo sie auf der Welt freigesetzt werden, zur Anreicherung von Treibhausgasen in der Atmosphäre und leisten so einen Beitrag zum Klimawandel und dessen globale Auswirkungen. Anders als bei Distanzschäden, wie sie im „Waldschadensfall“ durch den sauren Regen verursacht wurden, kann sich bei THG-Emissionen daher keiner der THG-Emittenten darauf berufen, dass er möglicherweise nicht zum Kreis der Verursacher gehört. Jeder THG-Emittent ist hier Mitverursacher des Klimawandels und seiner Folgen. 

 

Der einzelnen Mitverursachern zuzurechnende Schadenanteil kann prozessrechtlich geschätzt werden, nicht anders als bei sonstigen Fällen der Verursachung eines Schadens durch eine größere Anzahl von Beteiligten - etwa bei Massenkarambolagen auf der Autobahn. Auch hier hilft es keinem der Mitverursacher, dass er nicht der alleinige Verursacher eines Schadens ist, wenn Mitverursachung feststeht. 

 

Von Essen nach Paris 

 

Hat die Klage gegen RWE vor dem Essener Landgericht Erfolg, dann hat das Signalwirkung: Die Nutzung fossiler Energieträger wird teurer und der Umstieg auf alternative Energieträger wird beschleunigt. Welche Aufgaben es auf diesem Weg auch im Verhältnis der Staaten zueinander – also auf völkerrechtlicher Ebene – noch zu bewältigen gilt, hat die Pariser Klimakonferenz vor Augen geführt. Nach Jahren des klimapolitischen Stillstandes ist der Ende 2015 in Paris ausgehandelte Klimavertrag ein Riesenschritt nach vorn: 196 Staaten haben sich auf eine gemeinsame Strategie zur Bekämpfung des Klimawandels geeinigt. Um die in Paris verabredete Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf deutlich unter 2° Celsius und möglichst auf nicht mehr als 1,5° (bezogen auf die globale Durchschnittstemperatur vor der Industrialisierung) zu realisieren, bleibt aber noch viel zu tun. Dazu müssen die Staaten ihre selbstbestimmten Beiträge zur Reduktion der THG-Belastung der Atmosphäre in den kommenden Revisionsrunden noch erheblich nachbessern. Dies kann umso leichter umgesetzt werden, je stärker die in den verschiedenen Staaten tätigen Unternehmen auch auf Grund ihrer zivilrechtlichen Haftungsrisiken ein Eigeninteresse an einem schnellen Umsteuern auf alternative Energieträger haben. 

 

Loss and damage – Verlust und Schaden 

 

So wie bei der zivilrechtlichen Schutzklage von Lliuya gegen RWE stellt sich auch auf völkerrechtlicher Ebene die Frage, ob Staaten, die in besonderer Weise durch die Folgen des Klimawandels betroffen werden – etwa die kleinen, vom Meeresspiegelanstieg bedrohten Inselstaaten im Pazifik – möglicherweise Schutz- und Schadensersatzansprüche bei Klimaschäden gegen andere Staaten geltend machen können Der Pariser Klimavertrag spricht das wichtige Thema von loss and damage zwar an, beschränkt sich aber auf die Verabredung eines Arbeitsprogramms zu dem u. a. auch die Entwicklung versicherungsrechtlicher Lösungen gehört. Angesichts der unabsehbaren Folgen des Klimawandels für die besonders verletzbaren Staaten sollten verbindliche, vertragliche Regelungen für notwendige Hilfen angestrebt werden, entsprechend der im Völkerumweltrecht verankerten no harm rule: Danach sind Staaten verpfl ichtet, dafür zu sorgen, dass durch Aktivitäten, die sie auf ihrem Gebiet zulassen, die Umwelt anderer Staaten nicht in unzumutbarer Weise gefährdet oder geschädigt wird. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag (ICJ) hat diese umweltrechtliche Verantwortung als festen Bestandteil des Völkerumweltrechts anerkannt. Die International Law Association (ILA), eine internationale Vereinigung bekannter Völkerrechtler, ist der Auffassung, dass diese allgemeinen Grundsätze der Verantwortung von Staaten zur Vermeidung erheblicher grenzüberschreitender Umweltschädigungen anderer Staaten auf den von Menschen gemachten Klimawandel und seine Folgen übertragbar sind. 

 

In diesem Sinne sind die Rechtsgrundsätze, auf die sich die Klage Lliuyas gegen RWE stützt, und die völkerrechtliche no harm rule Ausdruck eines übergreifenden Grundsatzes der guten Nachbarschaft privater Rechtssubjekte, also von Personen und Unternehmen, und von Staaten untereinander. Die Klage Lliuyas und der Pariser Klimavertrag machen deutlich: Je mehr die Welt zusammenwächst, umso mehr Gewicht erhält das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme und Verantwortung auch im globalen Kontext.

 

Weitere Informationen zum Fall Huaraz und zu Fragen des Klimarechts fi nden Sie im Internet auf der Homepage von Germanwatch. (germanwatch.org)

„Unternehmen in der Energiebranche sollen erkennen, dass ein schnelleres Umsteuern auf alternative Energieträger wegen der Haftungsrisiken auch in ihrem Interesse liegt.“