Desaparecidos - Menschen, die gewaltsam verschwunden wurden. Im Deutschen ist das eine holprige Formulierung, so als sei uns diese Praxis gänzlich unbekannt. Doch gerade in Deutschland fand diese Terrormethode in den nationalsozialistischen Nacht und Nebel-Aktionen ihre Anwendung. Das gewaltsame Verschwindenlassen von Personen ist seit den 1960er Jahren vor allem in lateinamerikanischen, aber auch in anderen Ländern weltweit gängige Praxis. Die rechtsgerichteten Militärdiktaturen der 70er und 80er Jahre des Cono Sur entledigten sich mit Hilfe dieser Terrortaktik unliebsamer politischer Gegner, entführten, folterten und ermordeten sie, um sie dann in geheimen Massengräbern zu verscharren oder im Meer zu ertränken. Seitdem im September letzten Jahres 43 Studierende aus Ayotzinapa im mexikanischen Bundesstaat Guerrero verschwanden – also entführt und höchstwahrscheinlich ermordet wurden – sind desaparecidos auch in deutschen Medien wieder ein präsentes Thema. Die Studierenden aus Ayotzinapa stehen dabei stellvertretend für Zehntausende aus Mittelamerika und Mexiko, die in den letzten Jahren verschwanden. Auch immer mehr Frauen werden Opfer gewaltsamen Verschwindenlassens. Unter dem Begriff feminicidio ist dies vor allem aus den mexikanischen Bundesstaaten Chihuahua und Estado de México bekannt.
Die Methode des Verschwindenlassens hinterlässt keine Spuren, und Angehörige der Opfer verharren in einem Zwiespalt zwischen Resignation und Hoffnung. Auch für die Gesellschaft und die Identität selbiger hat das gewaltsame Verschwinden lassen von Personen enorme Auswirkungen.
In diesem Schwerpunktheft zeigen wir, wie unterschiedlich sich die Menschen in Lateinamerika mit dem Thema desaparecidos auseinandersetzen. Was bedeuten desapariciones für die Identitätsfindung einer Gesellschaft und eines Staates?
Und wie schlägt sich das in der Kunst nieder? Was bedeutet es für Kinder von desaparecidos, mit ihrer (wahren) Herkunft konfrontiert zu werden? Und wie kann auf politischer Ebene gegen diese Menschenrechtsverletzung vorgegangen werden?
Eine spannende und aufschlussreiche Lektüre wünscht
die matices-Redaktion
Gesellschaft
Auf der Reise in den amerikanischen Traum? Kindermigration in Lateinamerika
von Cornelia Giebeler
Resistir a los poderosos. El movimiento revolucionario en El Salvador durante la Guerra Fría
Entrevista por Judith De Santis
Guatemaltekischer Frühling. Proteste gegen Korruption und die Regierung
von Kathrin Zeiske
Afrodescendientes en el Perú: Ayer y hoy. El desarrollo y las transformaciones del movimiento afroperuano
von Carla Ramos
Wer ist eigentlich? Timochenko
von Judith De Santis
Länderberichte: Argentinien, Peru, Bolivien, Kolumbien, Guatemala, Brasilien, Venezuela
Schwerpunkt: Desaparecidos. Warum Menschen verschwinden
Offene Wunden. Die Verschwundenen in Lateinamerika
von Antonio Sáez-Arance
Aber dennoch... Bilanz nach fünf Jahren UN-Konvention gegen das Verschwindenlassen
Interview von Katharina Mauz
Mexikos Geister
von Laura Cwiertnia
“¡Ayotzinapa vive!” Eine Fotostrecke
Bilder von Laura Tüngler und Jaime Rodriguez
Voces directas
Zurück bleiben die traumatisierten Familienangehörigen der Opfer
Von der guerra sucia bis Ayotzinapa. Formen des gewaltsamen Verschwindenlassens in Mexiko
von Ana-Laura Lemke
Algo mío. Argentiniens geraubte Kinder
Interview von Gunda Wienke
EL “Ni una menos” en el país del nunca más Violencia de género en Argentina
por Magdalena López
Kultur
Dislocaciones interiores. Proyecto fotográfico con cinco mujeres indíge- nas de Colombia
por Liliana Merizalde
Francisco de Zurbarán. Meister der Details
von Dirk Ufermann
El botón de nácar. Patricio Guzmán sobre la memoria en Chile
por Sven Pötting
Szenarien eines Kirchenaustritts. El Apóstata von Federico Veiroj
von Ute Mader
Die kolumbianische Welle. Neue Bands aus Kolumbien erobern Deutschland
von Torsten Eßer
Las reinas del Tropipunk. Una banda que no se encierra en un género
por Charlotte Koch
Finis Terrae. Neue chilenische Klänge in Köln
von Maria Claudia Hacker
Sabrina Malheiros. Botschafterin der neuen Música Popular Brasileira
von Frank Keil
Rezensionen
Epistolare Resonanzräume oder Trennung auf den ersten Blick
Blaue Blumen von Carols Saavedra
Ein politischer Werkzeugkoffer Podemos!
von Pablo Iglesias Turrión
Land der Kontraste und ewigen Sehnsucht
Portugal – Ein Länderporträt von Simon Kamm
Post aus Santiago de Chile
von Cornelia Giebeler
Im Jahr 2014 waren 50.000 Kinder an der Grenze zwischen den USA und Mexiko unterwegs. Der US-Staat nahm dies zum Anlass für eine neue Grenzpolitik. Die Kinder werden von ihren Eltern geschickt, über tausende Kilometer hinweg. Sie flüchten vor Gewalt und Armut und werden dann zu Opfern von Maras und Menschenhändlern. Doch sind die Kinder nur Opfer der Verhältnisse oder nicht auch starke Akteure auf dem Weg in eine neue Zukunft der Migrationsgesellschaften?
Schwerpunkt
von Katharina Mauz
Im Dezember 2010 trat das Internationale Übereinkommen zum Schutz von Personen vor
dem Verschwindenlassen in Kraft. Über 200 Eilverfahren wurden seitdem eingeleitet. Doch die Möglichkeit der Individualbeschwerde wird von vielen lateinamerikanischen Regierungen nicht anerkannt. Menschenrechtsverletzungen werden vielerorts nicht bestraft. Bei der internationalen Tagung „Gewaltsames Verschwindenlassen – Verbrechen mit System“ in der Akademie Bad Boll, ausgerichtet von der deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko, sprach matices mit dem Ausschussmitglied Rainer Huhle.
Kultur
von Torsten Eßer
Von einer Welle zu sprechen mag etwas übertrieben sein, aber es ist schon ungewöhnlich, dass in diesem Jahr gleich mehrere Bands aus Kolumbien in Deutschland auftraten und sowohl beim Publikum wie auch in den Medien ein begeistertes Echo hervorriefen.