Große Herausforderungen, Knappe Ressourcen

Kooperation zwischen Deutschland und Lateinamerika in Zeiten der Globalisierung

von Andreas Stamm

Das Profil der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) zwischen Deutschland und Lateinamerika hat sich in den vergangenen Jahren in wesentlichen Aspekten verändert. Dies ist das Ergebnis einer begonnenen konzeptionellen Neujustierung der EZ. Hauptziel dieser Reformen ist es, die Mittel der EZ wirkungsvoller einzusetzen als in der Vergangenheit.

 

Die deutsche Entwicklungspolitik verfolgt seit einigen Jahren das Ziel, die bilaterale EZ aus einem Nischendasein herauszuholen und sie in einen umfassenderen politischen Kontext zu stellen. Sie betrachtet die Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern als Kernelement einer “globalen Strukturpolitik”. Hinter diesem Ansatz steht die Einsicht, dass in einer zunehmend vernetzten Welt die Überwindung von Problemlagen wie Massenarmut und Umweltzerstörung nicht nur den Entwicklungsländer zugute kommt, sondern auch im aufgeklärten Eigeninteresse der Industrieländer steht. Daher müssen in einer gemeinsamen und abgestimmten Kraftanstrengung ausreichende Problemlösungskompetenzen aufgebaut und leistungsfähige Strukturen auf lokaler, nationaler, supranationaler und globaler Ebene geschaffen werden.

 

In den letzten Jahren ergaben sich zusätzliche Anforderungen an die EZ im Nachgang zum Millenniums-Gipfel der Vereinten Nationen im Jahr 2000. Auf diesem Weltgipfel wurde eine Reihe von entwicklungspolitischen Zielvorgaben, die Millennium Development Goals (MDGs), verabschiedet. MDG 1 sieht vor, weltweit den Anteil der absolut Armen bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Auch die anderen MDGs sind in Bezug auf die Zielvorgaben und die Zeithorizonte vergleichbar anspruchsvoll. Die MDGs haben sich in den letzten Jahren international zu den wichtigsten Leitlinien der EZ entwickelt. Die deutsche Bundesregierung hat die Unterstützung der MDGs im Rahmen des “Aktionsprogramms 2015” zu verbindlichen Zielen der deutschen Politik erklärt (vgl.: http://www.aktionsprogramm2015.de).

 

Während also die Gestaltungsansprüche an die deutsche EZ in den letzten Jahren massiv gewachsen sind, muss das Aufgabenfeld weiterhin mit knappen finanziellen Ressourcen auskommen. Aus diesem Dilemma sollen konzeptionelle und instrumentelle Veränderungen heraushelfen, die auf höhere Effizienz und verbesserte Wirksamkeit der EZ abzielen.

 

Die sichtbarsten der in den letzten Jahren durchgeführten Anpassungen sind die Reduzierung der Zahl der Kooperationsländer bei gleichzeitiger Verringerung der jeweiligen Handlungsfelder innerhalb der EZ. Konzentration und Bündelung von Maßnahmen sollen Synergien zwischen unterschiedlichen Kooperationsformen (Technische, Finanzielle und Personelle Zusammenarbeit) erleichtern, strukturbildende und signifikante Wirkungen ermöglichen und den deutschen Beitrag zur Entwicklung in Lateinamerika erkennbarer machen.

 

Dem Ziel, zu einer klar profilierten und transparenten Entwicklungszusammenarbeit zu gelangen, dient die Unterscheidung der Kooperationsländer in Schwerpunktpartnerländer und Partnerländer. Die Länderkategorien unterscheiden sich durch die fachliche Breite der zukünftigen Zusammenarbeit. Während mit den Partnerländern zukünftig nur noch in einem inhaltlichen Schwerpunkt kooperiert werden soll, sind in der Zusammenarbeit mit Schwerpunktpartnerländern bis zu drei Schwerpunkte möglich. Schwerpunkte definieren dabei Aktionsfelder bzw. Ziele, die mit den Mitteln der EZ erreicht werden sollen (z.B. Gesundheit, Bildung, Krisenprävention).

 

Neustrukturierung der EZ mit Lateinamerika

 

15 Staaten Lateinamerikas sind derzeit Kooperationsländer im Rahmen der deutschen EZ. Fünf Länder: El Salvador, Honduras und Nicaragua in Zentralamerika sowie Bolivien und Peru in Südamerika fallen unter die Kategorie der Schwerpunktpartnerländer. Mit ihnen wird mittelfristig eine besonders intensive Zusammenarbeit angestrebt. Es handelt sich um ärmere Länder des Kontinents, die ein Mindestmaß an politischer Stabilität aufweisen. Dies macht eine mittelfristig angelegte Planung gemeinsamer Kooperationsvorhaben möglich. Einige der fortgeschritteneren Länder Lateinamerikas (Mexiko, Chile, Costa Rica, Brasilien) sind heute noch Partnerländer der deutschen EZ. Hier findet die Arbeit nur noch in einem, gelegentlich auch in zwei Schwerpunkten statt. Mit anderen Ländern der Region, wie beispielsweise Argentinien oder Uruguay, läuft die bilaterale EZ dagegen aus.

 

In ihrer inhaltlichen Ausrichtung legt die deutsche EZ mit Lateinamerika besonderes Gewicht auf den Umwelt- und Ressourcenschutz sowie den Schwerpunkt “Demokratie, Zivilgesellschaft und öffentliche Verwaltung”. Die Kooperationsvorhaben mit den meisten Partnerländern fallen unter diese Schwerpunkte und auch in den Schwerpunktpartnerländern sind sie besonders stark vertreten. Mit dieser Akzentsetzung reagiert die deutsch-lateinamerikanische EZ auf wesentliche Entwicklungstrends und -probleme des Kontinents, die im Lateinamerikakonzept der Bundesregierung aus dem Jahr 2000 beschrieben werden:

 

— Obwohl Umweltpolitik in Lateinamerika an Bedeutung gewinnt, schreitet die Umweltzerstörung fort. Dies ist die Folge von nicht auf Nachhaltigkeit bedachten wirtschaftlichen Wachstumsprozessen und von fortbestehender Armut. Gleichzeitig wirken Ressourcenverminderung und Folgekosten von Umweltzerstörungen negativ auf die wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten und die Armut zurück.

 

— Die Gesellschaften Lateinamerikas sind demokratischer geworden. Allerdings bestehen beim Aufbau funktionsfähiger demokratischer Strukturen und effizienter öffentlicher Verwaltungen noch deutliche Defizite, wie korrupte Bürokratien, fehlende Rechtssicherheit, eine abhängige Justiz und insgesamt schwach ausgeprägte Gewaltenteilung.

 

Durch die Konzentration der EZ in den beiden genannten Feldern sollen signifikante Beträge zur Überwindung der erkannten Defizite geleistet werden. Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch die Synergiewirkungen, die beispielsweise durch die engere Abstimmung von technischer und finanzieller Zusammenarbeit im Rahmen umfassender Entwicklungsprogramme zu erwarten sind.

 

Unmittelbar auf die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung abzielende EZ ist im Zuge des Konzentrationsprozesses stark reduziert worden. Nur noch mit El Salvador und Honduras werden EZ-Programme unter dem expliziten Ziel der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung fortgeführt.

 

Neue Tendenzen und zukünftige Herausforderungen

 

Lateinamerika hat seit einiger Zeit an weltpolitischer Bedeutung und an Beachtung durch die interessierte Öffentlichkeit eingebüßt. Wirtschaftlich hat der Kontinent an Boden verloren und die Rolle der dynamischen Entwicklungsregion an Asien abgetreten. Andererseits sind die meisten Länder der Region mittlerweile leidlich stabile und demokratisch legitimierte Regime. Als Krisenregionen gelten heute Afrika und der Mittlere Osten. Neuere Entwicklungen zeigen jedoch, dass Lateinamerika rasch aus diesem “weltpolitischen Windschatten” heraustreten kann.

 

— Die fortgeschrittenen und leistungsfähigen Länder der Region, allen voran Brasilien, treten mit wachsendem Selbstbewusstsein auf der internationalen Bühne auf, wie nicht zuletzt der Verlauf der Welthandelskonferenz 2003 in Cancún gezeigt hat, wo Brasilien die Führung der Gruppe der G21 übernommen hat.

 

— Das Beispiel Bolivien zeigt dagegen, dass die noch fragile soziale Kohäsion und politische Stabilität rasch wieder bedroht sein können, wenn das im Zuge der Demokratisierung, marktwirtschaftlichen Orientierung und Außenöffnung gegebene Versprechen eines Wohlfahrtsgewinns für breite Bevölkerungsschichten nicht bald eingelöst wird.

 

Auf diese Herausforderungen sollte auch die deutsche Zusammenarbeit mit Lateinamerika mittelfristig reagieren. Gegenüber den Schwellen- und Ankerländern müssen neuartige Kooperationsformen entwickelt werden. Das steigende Selbstbewusstsein von Ländern wie Brasilien, Mexiko, Chile oder Costa Rica muss ernst genommen und die Zusammenarbeit entsprechend ausgerichtet werden. Klassische EZ wird dabei zunehmend durch wissenschaftlich-technische Kooperation, Zusammenarbeit im Privatsektor und Kulturaustausch ergänzt und teilweise ersetzt werden.

 

Gleichzeitig müssen die Herausforderungen und Gefahren, die sich durch die ungelösten sozialen Versprechungen der Globalisierung ergeben, aufgegriffen und in der EZ umgesetzt werden. Eine wieder stärkere Hinwendung zu modernen Ansätzen der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung muss dabei in keinem Zielkonflikt zur Schwerpunktsetzung im Bereich des Umwelt- und Ressourcenschutzes stehen. Desarrollo Sostenible – die nachhaltige Entwicklung ist in den meisten Ländern Lateinamerikas ein eingeführter Begriff, der mit sozio-ökonomischen Fortschritt bei gleichzeitigem Erhalt der natürlichen Umwelt sinnvoll belegt ist.