Ein bedrohtes Stück Himmel

Zwischen Profit und Umweltschutz: die Lagune der Sieben Farben

Die zweitgrößte Süßwasserlagune Mexikos in der südlichen Karibik ist gefährdet. Industrielle Landwirt-schaft und die wachsende Tourismusbranche in der Urlaubsregion bedrohen den Erhalt des Ökosystems.In dem Kampf ums Wasser stoßen unterschiedliche Interessen aufeinander.

von Nicole Solís Oberg in Zusammenarbeit mit Shanty Acosta Sinencio

In Bacalar war ich zum ersten Mal im Jahr 2011, als ich nach meinem ersten Semester in Deutschland meine Heimat besuchte. Nicht die Stadt im mexikanischen Bundesstaat Quintana Roo auf der Halbinsel Yucatán ist weltweit bekannt, sondern der gleichnamige See, an den sie grenzt: die Lagune Bacalar, auch ‘Lagune der Sieben Farben’ genannt. Denn in der 64 Kilometer langen Lagune schimmert aufgrund der chemischen Zusammensetzung des Wassers ein faszinierendes Spektrum an türkis-blauen Farben. Auf Maya heißt sie deshalb auch Sian Ka’an Bakhalal, was so viel bedeutet wie „Geburtsort des Himmels, von Schilfgräsern umringt“.

Die Lagune Bacalar ist zu einem Anziehungspunkt für Tourist_innen geworden. Gleichzeitig stellt sie aber auch ein einzigartiges Ökosystem dar, in dem Mangrovenwälder, verschiedene Tierarten und das Grundwassersystem miteinander bestehen und funktionieren.

 

Gefährdetes Ökosystem

Die Lagune bietet den Unterhalt für drei angrenzende Dörfer. Doch der ist mittlerweile nicht mehr gesichert, denn die Umweltbelastungen in der Region steigen konstant an. Die Förderung industrieller Landwirtschaft unter Einsatz toxischer Agrochemikalien, mangelnde Entsorgung und Wiederverwertung von Abfällen sowie wenig Umwelterziehung in der Gemeinde sind Faktoren, die sich schädigend auf das Ökosystem und die Ressourcen auswirken. Gerade wenn die Funktion des Grundwasserleiters durch diese äußeren Einfüsse gestört wird, wirkt sich das negativ auf die Lagunenlandschaft aus.

Der Grundwasserleiter ist ein komplexes Netz unterirdischer Flüsse und Mexikos größtes Süßwasserreservat. Dieses hydrologische System hat sich dank des Karstbodens über Jahrtausende gebildet. Der Boden ist hochdurchlässig, leicht erodierbar und fltert jede Substanz direkt in den Grundwasserspiegel. Eine besondere Eigenschaft, die allerdings die Anfälligkeit und Zerbrechlichkeit des Systems beunruhigend erhöht. Abfälle und Schadstoffe, die mitunter durch den Tourismus entstehen – der Grundwasserleiter ist eine der wichtigsten Ressourcen für die lokale Wirtschaft – können sich durch die hohe Mobilität des Systems schnell verbreiten und münden schließlich auch in der Lagune Bacalar und im karibischen Meer. Von Staat und Politik wird die Besonderheit des Ökosystems nicht berücksichtigt, was dessen Funktionalität weiter gefährdet. Auch die lokale Bevölkerung leidet unter dieser Fahrlässigkeit, ihr Menschenrecht auf Wasser und Gesundheit wird missachtet.

 

Entwicklung zu einem exklusiven Touristenziel?

Damals war die Lagune noch nicht Teil der gängigen Touristenroute, die in Cancún beginnt. Als ich Ende 2013 Bacalar dann wieder besuchte, war die Hauptstraße, über die ich im Frühling

gefahren war, gleich viermal so lang und geteert. Mehrere Hotels und Campingplätze waren entlang der Straße errichtet worden. Bei meinem dritten Besuch Anfang dieses Jahres war aus der kleinen Holzhütte, in der ich übernachtet hatte, ein Hotel- und Restaurantkomplex entstanden, in dem Speisen für 20 Euro angeboten werden. Ein exklusives Angebot, beträgt der gesetzliche Mindestlohn pro Tag doch nur 88 mexikanische Pesos, was etwa 3,80 Euro entspricht.

Für Luis Carrión ist so eine touristische Entwicklung nicht gerade von Nachteil. In seinem Stadtentwicklungsplan für Bacalar stellt der Architekt fest, dass der Ort von ca. 12.000 Einwohner_innen noch auf 90.000 wachsen könne, ohne dass die Lagunenlandschaft unter weiteren Umweltverschmutzungen leiden werde. „Es sollen weniger, aber bessere Touristen hierherkommen! Wir wollen 10, die 100 wert sind“, so Carrión. Aber was sind bessere Tourist_innen? Die wenigsten Mexikaner_innen können sich heute noch einen Urlaub in der Riviera Maya am karibischen Meer leisten. Trotzdem soll die Küstenregion noch exklusiver werden. Der Großteil der Lagunenküste ist mittlerweile privatisiert, auf der 7,3 Kilometer langen Küstenstraße in der Stadt Bacalar gibt es genau sechs öffentliche Zugänge zur Lagune der Sieben Farben. Die Privatisierungen werden vollzogen, obwohl laut mexikanischer Rechtsprechung Grundstücke nicht privatisiert werden dürfen, die sich innerhalb eines Bereiches von 15 Metern Entfernung zu einem Wasserkörper befinden.

 

Der Kampf ums Wasser

In der Region um Bacalar gibt es Grundwasseranreicherungszonen, in denen es häufiger oder mehr regnet, oder die höher liegen und facher sind als andere Gebiete. Aufgrund ihrer speziellen Oberfächenformung bildet die Halbinsel Yucatán beispielsweise die wichtigste Süßwasserreserve Mexikos. Dort wurde von Forscher_innen kürzlich das zweitlängste bekannte System unterirdischer Flüsse registriert: das Sistema Sac Actun. Mit ganzen 374 Kilometern Länge verläuft es vor der Küste von Tulum in der Riviera Maya. Die spezielle Funktion bestehtdarin, dass Wasser auf der Oberfäche aufgenommen wird und durch kleine Öffnungen im Karstboden in das unterirdische Süßwassersystem gerät. Der Boden baut sich im Kontakt mit Regenwasser ab und wird durch eine saure Reaktion porös, so dass Wasser in Höhlen und unterirdische Flüsse gelangen kann. Eine weitere Grundwasseranreicherungszone in der Nähe von Bacalar liegt etwa 10 Kilometer weiter westlich, im Ejido Salamanca. Doch auf den genossenschaftlich von Mennonit_innen gehaltenen Ländereien wurden mittlerweile bis zu 6.000 Hektar tropischer Wald meist illegal gerodet. Eine Strafe in Höhe von 3 Millionen mexikanischen Pesos war die Folge, Maßnahmen zum Wiederaufbau des Waldes gab es keine.

Mitten in diesem Kampf um den Schutz gefährdeter Ökosysteme und den Erhalt von Ressourcen wurden in Mexiko verschiedene Gesetzestexte entworfen, die diesen Kampf gefährden: Beispielsweise soll das neue Gesetz für Biodiversität Bergbauunternehmen erlauben, Bodenressourcen in Naturschutzgebieten zu erschließen. Das neue Wassergesetz sieht vor, Privatunternehmen Konzessionen für das Bereitstellen von Wasser für bis zu 50 Jahre zu gewährleisten. Und das neue Grundwassergesetz soll Grundwasser für toxischen Bergbau und Fracking bereitstellen. Die Wasserprivatisierung ist zudem komplementär zum Fracking, da die Wassernutzung von Bürgerausschüssen und Nichtregierungsorganisationen überwacht werden kann, wenn Wasser in der Zuständigkeit des Staates liegt; nicht aber, wenn der Zugang zu Wasser in privaten Händen liegt.

Die Wasserprivatisierung in Mexiko hat aber auch schon vor Erlassung dieses Gesetzes stattgefunden: 1993 wurde die Grundwasserinfrastruktur von der Gemeinde Benito Juárez (Kreisstadt Cancún) während des Mandates von Ex-Gouverneur Mario Villanueva privatisiert, der sich aktuell wegen Geldwäsche in Haft befndet. Auch der Gouverneur des Bundesstaates Quintana Roo, Roberto Borge, hat 2015 die Konzession für die Verwaltung des staatlichen Trink- und Abwassersystems der Gemeinden Isla Mujeres, Solidaridad und Tulum bis zum Jahr 2053 an das Privatunternehmen AguaKan für eine Summe in Höhe von 1.050 Millionen Pesos (circa 47 Millionen Euro) verkauft. In den drei Gemeinden befinden sich die Städte Cancún, Playa del Carmen und das gleichnamige Tulum, die wichtigsten touristischen Zentren des Bundesstaates Quintana Roo. Die Gebühren für Wasser sind für die Bewohner_innen dieser Städte seitdem mehr gestiegen als für Hotels. Außerdem besitzen große Hotelanlagen besitzen eigene Konzessionen für Grundwasserbrunnen.

 

Lokaler Widerstand für den Schutz der Lagune

Die Nichtregierungsorganisation Agua Clara Bacalar („Klares Wasser Bacalar“) hat seit November 2016 damit begonnen, Umweltzerstörungen und -Verschmutzungen in und um die Lagune bei den Behörden anzuzeigen. Dies geht entweder durch die PROFEPA, die Umweltaufsicht der mexikanischen Regierung, oder mittels Informationskampagnen. Erfahrungsgemäß dauern die Prozesse bei der PROFEPA aber sehr lange, meist fehlt es an Personal und finanziellen Mitteln, beispielsweise für den Kauf von Kameras oder Drohnen zur Aufzeichnung. Im gesamten Bundesstaat Quintana Roo gibt es nur vier Aufsichtspersonen. Laut Informationen eines Parkwächters im Naturschutzgebiet Laguna de Términos, eine weitere große Lagune im Bundesstaat Campeche, investiert die Nationale Kommission für Naturschutzgebiete (CONANP) etwa sechs mexikanische Peso pro Hektar und pro Jahr in das Gebiet. Den Parkwächter_innen wird dadurch nur ein Tank Benzin pro Monat fnanziert, was die Umweltaufsicht erschwert.

Im November 2017 wurde ein Festival, El Llamado del Agua („Der Ruf des Wassers“), in Bacalar veranstaltet, bei dem auch Agua Clara teilnahm. Drei Tage lang konnten sich Umweltaktivist_innen unterschiedlicher Organisationen austauschen und neue Netzwerke schaffen. Aus diesem Treffen hat sich mittlerweile eine Bewegung herausgebildet, der sogenannte „Bio-Regionale Ausschuss“. Die Gruppe von 30 Aktivist_innen ist noch verhältnismäßig klein und kann sich schwer gegenüber mächtigen Privatinteressen durchsetzen. Auch wird die Gruppe von vielen Seiten angegriffen und bedroht, was für Umweltaktivist_innen in Mexiko keinesfalls eine Seltenheit ist. Trotzdem kämpft der Ausschuss weiter dafür, dass die Lagune der Sieben Farben in Zukunft nicht zu einem exklusiven Touristenort wird, sondern ein Vorreiter im Natur- und Ressourcenschutz bleibt, in dem die Rechte aller Menschen respektiert werden.

 

Nicole Solís Oberg ist Volkswirtin mit einem Fokus auf Entwicklungs- und Institutionenökonomik. Sie ist in Puebla, Mexiko, geboren und arbeitet seit Anfang 2018 mit der NGO Agua Clara Bacalar zusammen. Vorher hat sie in Projekten für solidarische Landwirtschaft und Ernährungssicherheit mitgearbeitet.

 

Shanty Acosta Sinencio arbeitet als Biologin bei Agua Clara Bacalar und hat sich auf die Restaurierung von Küsten- und Wassersystemen spezialisiert. Sie kommt aus Mexiko-Stadt und engagiert sich seit Jahren für den Schutz von nativem Saatgut und gegen Wasserprivatisierung in Mexiko.

 

 Bei meinem dritten Besuch Anfang dieses Jahres war aus der kleinen Holzhütte, in der ich übernachtet hatte, ein Hotel- und Restaurantkomplex entstanden, in dem Speisen für 20 Euro angeboten werden.

 

Die wenigsten Mexikaner_innen können sich heute noch einen Urlaub in der

Riviera Maya am karibischen Meer leisten. Trotzdem soll die Küstenregion

noch exklusiver werden.