Das Papiamentu

"Geplapper" oder zeitgemäßes Kommunikationsmittel?

von Eva Martha Eckkrammer

Bon bini - kon ta ki bida? Auf Aruba, Bonaire und Caracao, kurz auch ABC-Inseln genannt, hört man an jeder Straßenecke, aber auch in Radio und Fernsehen Papiamentu, die kreolische Muttersprache der rund 260.000 Bewohner der drei Antillen "unter dem Wind".

 

Der Name der Mischsprache geht auf das aus dem Spanischen bzw. Portugiesischen stammende Verb papear „sprechen“, „plappern“ zurück, und wer einer der beiden genannten Sprachen mächtig ist, versteht auch hin und wieder einen Brocken. Letztendlich steht die kreolische Sprache lautlich dem Portugiesischen sehr nahe, vor allem durch die zahlreichen Nasallaute; und spanische Worte prägen den Wortschatz des Papiamentu: vom eingangs genannten „Leben“ bida (span. vida) bis zum Verb hasi (span. hacer). Bei der Herausbildung des Papiamentu, etwa im Zeitraum von 1650 bis 1750, haben jedoch viele weitere Sprachen mitgemischt, wobei vor allem aber die grammatikalische Struktur und Entstehungsgeschichte die Zugehörigkeit des Papiamentu zu den weltweit etwa 70 lebenden Kreolsprachen determiniert, in deren Reigen es heute eine Pionierposition einnimmt. Die moderne Kreolistik geht aufgrund zahlreicher lexikalischer sowie grammatikalischer Parallelen zu atlantischen und asiatischen Kreolsprachen, z.B. auf den Kapverdischen Inseln, in Guinea-Bissau oder in Sri Lanka, von einer Entwicklung des Papiamentu innerhalb der Theorie der portugiesischen Monogenese aus, die als Grundlage zahlreicher Kreolsprachen eine in der Zeit des Sklavenhandels entstandene portugiesisch-basierte Pidgin- Sprache annimmt. Als Pidgin - ein Wort, das möglicherweise aus einer Verballhornung des englischen Begriffs business entstanden ist - bezeichnet man reine Notsprachen, die also niemands Muttersprache sind, sondern nur für ganz spezifische kommunikative Aufgaben herangezogen werden. Ein gutes Beispiel dafür sind Handelskontakte zwischen sprachlich heterogenen Parteien, z.B. Chinesen und Engländern oder Afrikanern unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Diese Pidginsprachen haben meist eine sehr reduziertes Lexikon sowie eine einfache Struktur, die interessanterweise meist grammatikalisch kaum mit jenen Sprachen etwas gemein hat, die das Wortmaterial beitragen. Avanciert eine solche Notsprache aus historischen Gründen zur Muttersprache, was vielfach auf Inseln der Fall ist, die durch ethnisch heterogene Gruppen besiedelt werden, dann sorgen die Kinder dafür, dass sich die einfache Pidginsprache zu einer vollwertigen Sprache weiterentwickelt, die wir dann als Kreolsprache bezeichnen. Blicken wir etwa in die Sprachgeschichte des Papiamentu zurück, so kam es im Anschluss an die Entdeckung durch die Spanier unter Alonso de Ojeda im Jahre 1499, in sehr geringem Maße zu einem Zusammentreffen des Spanischen mit dem Indianischen der Arawak. Da sich jedoch die Arawak gemeinsam mit der Mehrzahl der spanischen Siedler auf das venezolanische Festland zurückzogen, als die Niederländer im Jahre 1634 die Inseln ohne großen Widerstand eroberten, kommt dem durch diesen ersten Sprachkontakt entstandene Kommunikationsmittel - eventuell ein mit indianischen Wörtern vermischtes, vereinfachtes Spanisch – nur wenig Bedeutung zu. Erst das Eintreffen afrikanischer Sklaven und sephardischer Juden ab der Mitte des 17. Jahrhunderts führt zu jenem Nährboden, der die Entstehung eines kreolischen Kommunikationsmittels favorisiert.

 

Denn die Sklaven und deren europäische Händler bedienten sich im täglichen Umgang, sowohl untereinander als auch innerhalb der eigenen Gruppe, eines portugiesisch- basierten Pidgin, das in der Literatur oftmals als jargon nautique bezeichnet wird. Vielfach verblieben die Sklaven über lange Monate hinweg in den Faktoreien der westafrikanischen Küste oder der Kapverdischen Inseln und erlernten dort schon vor der Überfahrt diese Notsprache. Auf der Insel Curaçao, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu einem Hauptumschlagplatz des transatlantischen Sklavenhandels wurde, stieg dieses portugiesische Pidgin bald zum gemeinsamen Kommunikationsmittel aller Gruppen auf, wobei besonders der Umstand hervorzuheben ist, dass selbst die soziale Elite, bestehend aus niederländischen Siedlern und sephardischen Juden, sich dieser neuen Sprache bediente. Wir beobachten auf diese Weise inmitten eines sozialen Kreolisierungsprozesses, der zur Entstehung einer neuen Mischkultur führt, die den Notwendigkeiten der neuen Gesellschaft und Umgebung besser entgegenkommt als bisherige Modelle, die Evolution einer neuen, eigenständigen Sprache. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte wurden im Rahmen eines so genannten

 

Relexifizierungsprozesses zahlreiche Begriffe mit spanischen Wörtern besetzt, da die Nähe zum lateinamerikanischen Kontinent sowie die intensive Tätigkeit der spanischen Missionare dem Spanischen eine wachsende Präsenz erlaubten. Aber auch das Niederländische, die Sprache des europäischen Mutterlandes, die folglich auch Amtsund ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts Schulsprache ist, trägt viele Begriffe zum Lexikon des Papiamentu bei, z.B. stul „Stuhl“, buki „Buch“ oder danki „danke“. Grammatikalisch agiert das Kreolische auf der Grundlage einer Basisgrammatik, das heißt es gibt vor allem keine Flexion. Die Worte der einzelnen Klassen bleiben stets unverändert. Für den Plural hängt man einfach ein nan an das betreffende Wort, jedoch nur dann, wenn kein anderer Begriff im Satz die Mehrzahl zum Ausdruck bringt: z.B. mi tin un buki „ich habe ein Buch“, mi tin hop buki „ich habe viele Bücher“, e bukinan ei „die Bücher dort“. Das Verb bleibt ebenso unverändert und wird lediglich durch so genannte Tempus-Modus-Aspekt-Marker modifiziert, z.B. mi ta drumi „ich schlafe“, mi ta kome „ich esse“, mi a drumi „du hast geschlafen“, bo a balia „du hast getanzt“, mi tabata bai „ich ging“ oder lo mi bai kas „ich werde nach Hause gehen“. Die lexikalische Zusammensetzung des modernen Papiamentu könnte, trotz des Fehlens einer umfassenden Analyse der Wurzelwörter des gesamten Lexikons, folgendermaßen veranschlagt werden: zwei Drittel des Lexikons sind iberoromanischen Ursprungs, also meist dem Portugiesischen und/oder Spanischen entnommen, und rund 28 Prozent der Worte stammen aus dem Niederländischen, wobei insbesondere Begriffe in Verbindung mit der Administration und im Bereich des Schul- und Bauwesens (insbesondere deren fachsprachliche Register) betroffen sind. Das übrige Lexikon kann auf das Englische, Französische, Hebräische sowie auf indianische und afrikanische Sprachen zurückgeführt werden.

 

Die Inselgebiete sind heute von einer Mehrsprachigkeit geprägt, wie sie selbst in der Karibik nicht mehr allzu häufig anzutreffen ist. Die meisten Bewohner der drei Inseln sprechen neben ihrer kreolischen Muttersprache auch Spanisch, Niederländisch und Englisch. Es kommt folglich nicht von ungefähr, dass aus dieser intensiven Sprachkontaktsituation viele interessante Mischungen hervorgehen. Nos ta grandi enberdat, keep up the good work anto nos lo jega lew sigur, groetje, las ich kürzlich im Online-Gästebuch eines lokalen Radiosenders. Der kreative Umgang mit der Mehrsprachigkeit, wie zum Beispiel im zitierten Beispiel das Code-Switching, verwundert täglich aufs Neue, wobei im Gegenzug die Pflege der jungen Kreolsprache kein einfaches Unterfangen ist. Seit vielen Jahren bemüht man sich vor Ort intensiv um die Standardisierung des Papiamentu. Ein Standard ist besonders deshalb wichtig, weil man in den späten 1980er Jahren begonnen hat, das Kreolische als Fach in der Schule zu unterrichten. Wenngleich oder gerade weil das Papiamentu in seinem Ausbauprozess der letzen Dekaden viele Hindernisse überwinden musste, gilt es heute als Pioniersprache im Kontext der Kreolistik. Zum Beispiel existiert seit einigen Jahren ein gezieltes Übersetzungsprogramm, in dessen Rahmen die Bücher, die in der nahen Zukunft in kreolischer Sprache zur Verfügung stehen sollen, sorgfältig ausgewählt werden. Gleichzeitig werden Übersetzer/innen ausgebildet und animiert, etwas zum Ausbau ihrer Sprache beizutragen. Aber schon in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden – ohne gezielte Übersetzungsplanung – exzellente Übersetzungen von bekannten Bühnestücken Goldonis, Shakespeares, Molières oder Mihuras.

 

Der Weg hin zur Vollsprache ist freilich noch weit. Die Bemühungen einer so kleinen und jungen Sprache angesichts der aktuellen linguistischen Negativprognosen – insbesondere, dass in den kommenden 100 Jahren ein großer Teil der derzeit rund 6.800 weltweit gesprochenen Sprachen verschwinden wird – sind als unabdingbar zu bewerten. Fast könnte man das akademische Diktum publish or perish auf den Kontext von Minderheitensprachen übertragen, denn auch hier garantieren nur Druckwerke und ein damit verbreiteter schriftsprachlicher Standard nachhaltig den Fortbestand. Überdies ist durch die wirtschaftliche Depression der vergangenen Jahre die europäische Diaspora der Papiamentu-Sprecher, die vor allem in den Niederlanden wohnen, mittlerweile auf etwa 100.000 gewachsen. Nicht zuletzt aus diesem Grund gilt das Kreolische der ABC-Inseln auch in der EU als anerkannte Minderheitensprache und hat auf diese Weise die Möglichkeit, Förderungen in Anspruch zu nehmen. Innenpolitisch sind die Inselgebiete seit 1954 autonom, außenpolitisch jedoch nach wie vor – gemeinsam mit den drei Inseln „über dem Wind“ (Saba, St. Eustatius und St. Maarten) – Teil des niederländischen Königreiches. Aruba hat in den 1980er Jahren den Sechser-Verband der Niederländischen Antillen verlassen, die damals prognostizierte „wirkliche“ Autonomie jedoch bis heute nicht eingelöst.

 

In den Niederlanden stellt man sich angesichts schwindender Einahmen mehr und mehr die Frage, ob die historische Schuld an den Inseln nicht schon längst abgebüßt sei. Wenn vor dem Hintergrund dieser kritischen Situation - wie kürzlich geschehen - Politiker/ innen der Inseln bei Besuchen in den Niederlanden durch die Verweigerung der niederländischen Sprache auf sich aufmerksam machen, ist dies zwar hinsichtlich der Bemühungen um den Sprachausbau bestens verständlich, politisch wahrscheinlich nicht sehr zielführend. Das Kreolische ist in jedem Fall auf dem Weg zur Vollsprache und hat sich als modernes Kommunikationsmittel etabliert, die Vielzahl der Texte sowie die fast uneingeschränkten Verwendungskontexte zeugen heute eindrucksvoll davon.