„Reise um die Welt“

Capoeira-Boom in Europa

von Bea Maaß

Capoeira ist nicht nur in Brasilien beliebt, die afrobrasilianische Kampfkunst findet auch in Europa immer mehr Anhänger. Deutschland hat in den letzten Jahren Frankreich als Land mit der größten Anzahl von Capoeira-Schülern übertroffen und sich somit zur europäischen Hochburg der Capoeira entwickelt. In fast jeder größeren deutschen Stadt wird heute Capoeira-Unterricht angeboten, so gibt es allein in Köln etwa sieben, in Berlin sogar 15 Schulen.

Es waren die Medien. So handelt etwa der Actionfilm „Only the Strong“ von einem Amerikaner, der in Brasilien Capoeira gelernt hat. Nach seiner Rückkehr trainiert er die Jugendlichen an seiner früheren High School, während er blutige Kämpfe mit den lokalen Drogengangs austrägt. In dem Computerspiel „Tekken 3“ taucht neben anderen Kämpfern auch ein Capoeirista namens Eddie auf. Ein Werbespot der finnischen Mobilfunkfirma Nokia zeigt eine Capoeira-Szene am Strand, und auch in diversen aktuellen Musikvideos, so etwa bei Sasha, sieht man eindrucksvolle Capoeira-Bewegungen. Die weltweite Anerkennung, die die Capoeira heute erfährt, hätte wohl noch vor wenigen Jahrzehnten niemand für möglich gehalten. In Brasilien war ihre Ausübung lange Zeit sogar verboten. Der portugiesische König João VI., der 1808 vor Napoleon nach Brasilien floh, fürchtete den sozio-politischen Sprengstoff des Kampftanzes und ließ die Capoeirista verfolgen, jedoch ohne rechtliche Grundlage. Im Jahr 1889 schließlich hat die neue republikanische Regierung Capoeira wegen der monarchischen Tendenzen der Capoeirista per Gesetz verboten. Diese fühlten sich der Krone auf Grund der Abolition durch Prinzessin Isabella verpflichtet. Doch trotz des Verbots, das erst unter der Regierung von Getúlio Vargas in den 1930er Jahren aufgehoben wurde, lebte die Capoeira weiter. Mit der Einführung eines Schulungssystems durch Mestre Bimba und Mestre Pastinha begann eine neue Ära der Capoeira. Seitdem wurde Capoeira zunehmend als Sport praktiziert. Gleichzeitig änderte sich die soziale Struktur ihrer Anhänger durch das gestiegene Interesse sozial Bessergestellter und Weißer an der Kampfkunst.

 

Von 1950 an verbreitete sich Capoeira wieder von Bahia über Rio und Recife, wo sie während des langen Verbots fast vollständig vom Straßenbild verschwunden war. Seit 1974 ist Capoeira als Nationalsport anerkannt und wird seitdem in Schulen, Vereinen und Universitäten unterrichtet.

 

Capoeira in Europa: Die Anfänge

 

Vor 25 Jahren kam Edvaldo Carneiro e Silva, besser bekannt als Mestre Camisa Roxa, mit einer Gruppe von Capoeirista nach Europa. Er war ein Schüler Mestre Bimbas und Mitglied der Gruppe Senzala. Mit der Folkloregruppe „Brasil Tropical“ tourte er durch Europa und präsentierte seine Kunst. Mit Camisa Roxa kamen in den 70er Jahren auch viele andere Brasilianer nach Europa und in die USA und gründeten erste Schulen. Mestre Camisa Roxa lebt heute in Österreich und koordiniert den europäischen Teil der Gruppe ABADA Capoeira. Seine Reisen haben ihn bereits in über 50 Länder geführt, in die er die Capoeira als Ausdruck brasilianischer Kunst und Kultur mitgenommen hat.

 

Paulo Siqueira, ein Capoeira-Mestre aus Rio de Janeiro, begründete in Hamburg Anfang der 80er Jahre den Eroberungszug der Capoeira in Deutschland. Neben dem Aufbau seiner eigenen Gruppe half Paulo Siqueira auch vielen anderen Lehrern, in Europa Fuß zu fassen und gemeinsame Veranstaltungen und Auftritte zu organisieren. Zu Recht wird er daher als ein wichtiger Wegbereiter der Capoeira in Deutschland und Europa angesehen.

 

Für die wenigsten brasilianischen Lehrer sind jedoch idealistische Vorstellungen von Völkerverständigung oder internationalem Kulturaustausch ausschlaggebend, wenn sie ihr Glück im Ausland suchen. Meist ist es einfach die schwierige ökonomische Lage ihres Heimatlandes, in der es kaum jemandem gelingt, mit Capoeira-Unterricht seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Während in Brasilien an jeder Straßenecke eine Capoeira-Akademie auf Schüler „lauert“, gilt es dagegen in Europa, weite Landstriche zu „missionieren“.

 

Trotzdem ist es in Europa nicht leicht, eine funktionierende Schule aufzubauen. Zunächst müssen die brasilianischen Capoeira-Lehrer sprachliche und kulturelle Hürden sowie eine Menge Bürokratie bewältigen - ganz zu schweigen von den überaus schwierigen Anpassungen an Klima und Essen. Trotz dieser Anfangsschwierigkeiten ziehen jedoch viele Capoeira-Lehrer das Leben in Europa dem Existenzkampf in Brasilien vor. Gleich den Anpassungen, die die Capoeira-Lehrer vollziehen müssen, verändert sich auch die Capoeira selbst gegenüber ihren Ursprüngen in Brasilien. So gilt die Capoeira hier als weniger aggressiv. Während in Brasilien der Kampf stärker im Vordergrund steht, dominieren hier die kulturellen und spielerischen Aspekte. Europäische Capoeirista sind in der Regel älter; viele nehmen ihre erste Capoeira-Stunde erst mit Anfang zwanzig, in einem Alter, in dem die meisten Brasilianer schon wieder mit dem Training aufgehört haben. Dies scheint sich allerdings zu ändern, denn in den letzten Jahren begeistern sich auch in Europa immer mehr Kinder und Jugendliche für die Kampfkunst. Schließlich ist Anfängern, die noch kein Portugiesisch beherrschen, der Zugang zu den Gesängen der Capoeira erschwert. Sie müssen mehr Zeit und Geduld für das Erlernen der Lieder aufbringen. Während sich die verschiedenen Gruppen in Brasilien teils feindselig gegenüberstehen, hat die geringere Konkurrenz zwischen den Schulen in Europa die Organisation internationaler Capoeira-Treffen möglich gemacht, auf denen Capoeirista und Gruppen aus verschiedenen Ländern neue Techniken und Erfahrungen austauschen können. Die bekanntesten, jährlich stattfindenden Treffen sind das einwöchige Sommertreffen in Hamburg und das dreitägige Ostertreffen in Amsterdam. Kritiker sehen in der internationalen Ausbreitung der Capoeira einen Verlust ihrer Wurzeln und befürchten, dass der Kampftanz, der ursprünglich aus dem Widerstand schwarzer Sklaven gegen ihre Herren hervorging, nun zu einem Konsumgut für Europäer verkommt. Dass die Geschichte nicht vergessen wird, dafür sorgen die Capoeira-Lieder, in denen bis heute der Alltag der afrikanischen Sklaven besungen wird. Die Sklaverei entspricht jedoch nicht mehr der Realität Brasiliens, und so spiegelt sich die langsame Überwindung des Gegensatzes zwischen Schwarz und Weiß auch in der Capoeira wider, an der heute jeder teilnehmen kann - unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Alter oder Herkunft. Capoeira erobert die europäischen Großstädte