Zwischen Nachhaltigkeit und Entwicklung

Interessenskonflikte um den brasilianischen Regenwald

von Robert Zängerle

Sowohl in Brasilien als auch bei der internationalen Gemeinschaft herrscht noch immer große Uneinigkeit über Mittel und Wege zum Schutz des Regenwaldes. Am Ende des UN-Umweltgipfels in Johannesburg unterzeichneten die brasilianische Regierung und die Weltbank ein Abkommen zur Erweiterung des Schutzgebietes. Ob auf diese Weise der Urwald gerettet werden kann, oder doch auf Initiativen der Wirtschaft und Umweltverbände zurückgegriffen werden muss, bleibt abzuwarten.

Die brasilianische Regierung will mit Unterstützung der Weltbank das Regenwaldschutzgebiet am Amazonas verdreifachen. Ein entsprechendes Abkommen wurde am Rande des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg unterzeichnet. Es sieht vor, dass im kommenden Jahrzehnt zwölf Prozent des Amazonas-Regenwaldes unter Schutz gestellt werden. Mit Vertragsabschluss sind nunmehr 500.000 Quadratkilometer geschützt; dies entspricht 3,6 Prozent der Regenwälder weltweit. Die Kosten des Programms belaufen sich auf 395 Millionen Dollar, die von der brasilianischen Regierung, dem Privatsektor und internationalen Finanzorganisationen getragen werden.

 

Bereits vier Tage vor Beginn des Weltgipfels hatte die Regierung in Brasília das nach eigenen Angaben größte Regenwald-Naturreservat der Erde medienwirksam eingeweiht. „Der Nationalpark Tumucumaque ist das größte Urwald-Schutzgebiet der Welt“, versicherte Präsident Fernando Henrique Cardoso bei der Unterzeichnung des Gründungsdekrets. Das Reservat im nördlichen Bundesland Amapá ist mit einer Fläche von 38.000 Quadratkilometern größer als Belgien. Tumucumaque soll spezifische Bereiche, unter anderem für Ökotourismus und Umweltforschung, erhalten. Die Umweltschutzorganisation World Wildlife Fund (WWF) hat eine Million Dollar für das Projekt beigesteuert. Mit der Einweihung von Tumucumaque erhöhte sich die Gesamtfläche der Urwald-Schutzgebiete in Brasilien auf 174.500 Quadratkilometer; das entspricht der Hälfte der Fläche Deutschlands. „Die Brasilianer haben das Zeug, zu Führern der internationalen Umweltschutzbewegung zu werden”, versicherte Cardoso. „Man kommt in dem Bemühen, zehn Prozent des Amazonas-Urwalds in Naturschutzgebiete zu verwandeln, sehr gut voran. Für das Vorhaben benötigen wir aber sehr viel Geld”, fügte der im kommenden Januar aus dem Amt scheidende Präsident hinzu.

 

Dieses erhoffe er sich durch finanzielle Unterstützung der reichen Länder, der internationalen Finanzinstitute sowie von Nichtregierungsorganisationen. Es sei schließlich ein Projekt für die gesamte Menschheit, also sollen auch alle bei den Anstrengungen helfen.

 

Gewerbegebiet Amazonas

 

Mit dieser Einladung wird Präsident Cardoso im eigenen Land nicht nur auf Zustimmung stoßen. Denn nachdem ausländische und meist europäische Umweltorganisationen in den 80er Jahren den brasilianischen Urwald als Thema entdeckten, bemühte sich die Forstindustrie und ihre Vertreter in den Parlamenten, die Forderungen nach Schutz des Regenwaldes als Einmischung in nationale Angelegenheiten abzutun.

 

Nicht ohne Sarkasmus wiesen sie noch im Mai darauf hin, dass die Länder, die ihre Wälder bereits ganz abgeholzt hätten, heute zur Ersten Welt gehörten. „Dies hätte Brasilien vielleicht auch tun sollen”, platzte Jose Baranek während der Konferenz in Belém heraus. Er ist der einflussreiche „Pate“ und Eigner einer der größten Holzfirmen, deren Name Forex-Cemex jedem eingeweihten Greenpeace- Anhänger die Zornesröte ins Gesicht treibt. Allein im Rekordjahr 1995 wurden 29.000 Quadratkilometer Amazonswald abgeholzt. Und es wird noch mehr Holz den Amazonas hinabtreiben: Der Import von Stammholz, gesägtem Holz, Furnieren und Sperrholz in die Europäische Union ist seit 1996 um ein Drittel gestiegen. Der Holzfraß im brasilianischen Tropenwald hat eine Brutstätte – Paragominas. Gegründet wurde die Stadt 1965 an der zuvor erbauten Amazonas-Straße. In ihrer Blütezeit Anfang der 90er Jahre wurde dort jährlich Holz im Wert von einer Milliarde Dollar verarbeitet. In ganz Brasilien waren es seinerzeit 2,5 Milliarden. Über 200 Sägewerke und Betriebe hatten sich hier angesiedelt - heute sind es nur noch 60.

 

Denn soweit der Blick reicht, hat sich die Umgebung von Paragominas in wüstes Ödland verwandelt. „Paragominas ist zum Symbol von Gewalt und Verwüstung geworden”, beklagt der Bürgermeister Sidney Rosa den Zustand seiner Stadt. „Nach dem Wald stirbt nun die Stadt. Und es besteht die Gefahr, dass sich die Entwicklung von Paragominas andernorts wiederholt”, warnt Paulo Barreto, Direktor des Instituts für Mensch und Umwelt am Amazonas (IMAZON).

 

Allerdings gehen 30 Prozent des Waldverlustes nicht auf das Konto großer Holzbetriebe oder der Mahagoni- Mafia, sondern auf das armer Kleinbauern und Landloser, die als Folge des Straßen- und Wegebaus in die Waldgebiete eindringen und sich dort eine Existenzgrundlage suchen. Sie betreiben Wanderfeldbau, brennen dafür ein Stück Wald ab und fällen die großen Bäume. Durch die schnelle Auslaugung der kargen Böden müssen sie spätestens nach zwei Jahren weiterziehen. Auf 20 Millionen wird die Zahl dieser Menschen aktuell geschätzt, die auf diese Weise versuchen, ihren Lebensunterhalt im Regenwald zu bestreiten. Und es kommen noch mehr, denn im Rahmen eines Regierungsprogramms mit dem verheißungsvollen Namen „Vorwärts Brasilien“ sollen bis ins Jahr 2007 für neue Straßen, Eisenbahnen, Staudämme und Flusskanalisierung insgesamt 40 Milliarden Dollar investiert werden. Modellrechnungen von Forschern zeigen: Wo immer Pisten in den Dschungel geschlagen wurden, folgten Kleinbauern, Viehbarone und Grundstücksspekulanten und rodeten den Wald zu beiden Seiten der Strasse.

 

Als weiterer Akteur innerhalb des Bedrohungsszenarios gilt die Landwirtschafts- bzw. Lebensmittelindustrie in Brasilien und weltweit. Ihr Eiweißbedarf erfordert große Flächen für Monokulturen, die den industriellen Sojaanbau zur Viehfutterherstellung ermöglichen. Die Anbauflächen werden benötigt, um Soja als eiweißreiches und preiswertes Ersatzfutter für das durch die BSE-Krise inzwischen unbeliebte Tiermehl anzubauen. Auch als Quelle für tierisches Eiweiß sind die Feuchtwälder gut geeignet. Carlos Peres von der University of East Anglia schätzt in seiner Studie, dass im Amazonasgebiet jährlich 23 Millionen Wirbeltiere erlegt werden. Dies ergibt 90.000 Tonnen so genanntes Buschfleisch mit einem Marktwert von 190 Millionen Dollar.

 

Chronik der Nachhaltigkeit

 

Experten schätzen, dass 15 Prozent des Regenwaldes bereits zerstört sind. Lediglich rund 10 Prozent der verbliebenen 85 Prozent sollen langfristig geschützt und als Kerngebiet erhalten bleiben. Um den Rest kreist der Geier der “Nachhaltigkeit”. Dieser inflationär verwendete Begriff bildet das vorläufige Ende einer Reihe von Versuchen, das einzigartige Naturreservoir vor wirtschaftlichen Interessen in Schutz zu nehmen bzw. mit ihnen in Einklang zu bringen.

 

Ein Gesetz zur Nutzung und zum Schutz des Waldes in Brasilien war bereits im Jahr 1965 verabschiedet worden. Den Bestimmungen zufolge müssen in den Schutzgebieten mindestens 20 Prozent des Waldes erhalten bleiben. “Umweltverträgliche” Forstwirtschaft war jedoch erlaubt. 1999 wurde eine Kongresskommission aus Mitgliedern des Senats und des Abgeordnetenhauses gebildet, um die Bedingungen für ein neues Umweltschutzgesetz zu erarbeiten. Der Kommission zur Überprüfung des Waldnutzungsgesetzes, die mehrheitlich von Großgrundbesitzern dominiert war, wurde ein Kompromissvorschlag des Nationalen Entwicklungsrats CONAMA unterbreitet. Dieser sah vor, 80 Prozent des Grundbesitzes im Amazonasgebiet zu geschützten Gebieten zu erklären - 35 Prozent in den Savannen des Amazonasgebiets und 20 Prozent in den übrigen Gebieten. Er wurde von der Kommission zunächst abgelehnt. Der Widerstand der Öffentlichkeit bzw. Umweltschutzgruppen gegen die Vorschläge der Kommission und der damit einhergehende Druck auf den Kongress zwang die Parteiführer jedoch, den Industrie- freundlichen Entwurf zu überdenken. Schließlich wurde eine Übergangsregelung auf der Grundlage des CONAMA-Textes verabschiedet und dieselbe Kongresskommission, die die Schutzgebiete zu verkleinern versuchte, wurde nun damit beauftragt, einen weiteren Gesetzesentwurf vorzulegen.

 

Auch auf internationaler Ebene kam der Schutz des Regenwaldes auf die Agenda. Wohlmeinende Umweltverbände im ausgehenden 20. Jahrhundert fiel jedoch meist nichts Besseres ein, als jegliche wirtschaftliche Nutzung des Regenwaldes kategorisch auszuschließen (Stichwort:

 

Debt for Nature swaps - Schuldenerlass gegen Naturerhalt). Der Plan einzelner Organisationen sah vor, dem Staat das Land abzukaufen, um es anschließend für alle zu sperren. Diese naive Vorstellung übersah, dass Brasilien nicht einfach auf seine reichen Vorkommen an Natur- und Bodenschätzen aus ökologischen Gesichtspunkten verzichten kann, solange das Land schwere ökonomische Probleme belasten. Doch die Idee, Reservate kaufen, setzte sich durch. 1992 - im Jahr des Rio-Gipfels – drängte die deutsche Regierung die Staats- und Regierungschefs der sieben größten Industrienationen (G7) zur Schaffung eines Pilotprogramms zur Konservierung des brasilianischen Regenwaldes (PPG7). 295 Millionen Dollar (Stand Dez. 2001) kostet das Pilotprojekt, dessen „Programmdesign” ein beeindruckendes Sammelsurium an umweltverträglichen Wunschträumen darstellt, die mit Hilfe von ein paar neugegründeten Institutionen und BMZ-Bürokraten verwirklicht werden sollen. Von „Integrierter Naturwaldbewirtschaftung” und „Schließen von Wissenslücken durch wissenschaftliche Studien” ist da die Rede. Im vergangenen Jahr tagte in Brasília die Beratergruppe des PPG7. In ihrem Abschlussbericht findet sich ein Satz, der das traurige Ergebnis der bisherigen Bemühungen auf den Punkt bringt: „Einem leitenden Weltbank-Manager zufolge werden 90 Prozent der Energie im PPG7 für das Projektmanagement verwendet”. Also: 90 Prozent versickern in der Verwaltung und nur 10 Prozent fließen in die Erhaltung des Waldes.

 

Geschäftsidee Tropenwald

 

Paradoxerweise zeigt gerade die Industrie erfolgversprechende Wege auf, den Wald auf der einen Seite zu erhalten, ihn auf der anderen Seite aber auch wirtschaftlich zu nutzen. Letztlich führt auch nichts daran vorbei, den Widerspruch zwischen beiden berechtigten Interessen aufzulösen, auch wenn dies nebenbei der eigenen Imagepflege dient. An dieser Idee arbeitet der deutsch-amerikanische Automobilkonzern Daimler- Chrysler, dessen im Südosten Brasiliens gebaute LKW gerade auf den Schlammpisten im Amazonasgebiet ihrer Zuverlässigkeit wegen sehr geschätzt werden. Zur Grundüberlegung gehörte hierbei, die Wanderfeldbau betreibende Bevölkerung sesshaft zu machen. Hierfür müssen ihnen die Möglichkeiten zur langfristigen Nutzung des Waldes aufgezeigt werden. Da neben der schlechten Qualität der abgeholzten Böden das Fehlen von sauberem Wasser eine Ursache für das ständige Weiterziehen der Bauern ist, wurde am „Experimentierfeld” Praia Grande zunächst eine Anlage entwickelt und gebaut, die mit einfachen Mitteln das Wasser entkeimt. Ein weiterer Schritt bestand darin, sich einer nachhaltigen Anbauweise zu besinnen und zudem Konzept für den notwendigen Absatz der Anbauprodukte zu entwickeln. Zunächst hatten Agronomen dem Indio-Volk Kayapó den sogenannten „Stufenanbau” in Waldinseln abgeschaut. Diese lassen unter dem Dach hoher Regenwaldbäume Pflanzen wachsen, der eigenen Ernährung dienen. Bereits nach zwei Jahren wachsen Nutzpflanzen wie Maniok und Bananen. Wenig später wurde das Prinzip auch bei Kokospalmen angewendet, die vergleichsweise hohe Erträge erbrachten. An diesem Punkt trifft sich nun der schonende Umgang mit der Natur und den wirtschaftlichen Interessen von DaimlerChrysler. Der Automobilkonzern ist in der Verarbeitung von Naturfasern für seine Produkte führend. Knapp 30 Kilogramm der Kokosfasern finden sich heute in einem Mercedes. So stecken drei Kokosnüsse in einer Kopfstütze, 14 in der Rückenlehne und zehn im Sitzkissen. Auf diese Weise finden zumindest rund 200 Menschen ein Auskommen im brasilianischen Regenwald. Der Erfolg und die Vorbildfunktion dieses Projekts unter Leitung eines der größten internationalen Konzerne muss hoch eingeschätzt werden. Staatliche Schutzprogramme und Privatinitiativen der Industrie machen deutlich, dass für die Erhaltung des Waldes nicht mehr nur nach plausiblen Argumenten gesucht werden muss; diese Phase ist Vergangenheit. Nunmehr geht es um die Umsetzung – ein Lichtschimmer im dichten Rauch des Waldes.

 

Literaturhinweis

  • www.bmz.de
  • www.poema-deutschland.de
  • Science 202. 859-861 (2001)
  • Science 291. 438-439 (2001)
  • Conservation Biology 14. 240-253 (2000)
  • Ambio 29. 310-313 (2000)