ARCO 98

Spaniens bedeutendste Kunstmesse zwischen Diffusem und Schattenhaftem

von Mandana Mesgarzadeh

Zum 17. Mal präsentierte Madrid auf der alljährlich im Februar stattfindenden Kunstmesse zeitgenössische Kunst aus 33 Ländern. Insgesamt nahmen 206 Galerien, davon 95 spanische und 111 ausländische teil. Ehrengast Portugal war durch 18 Galerien vertreten, ausgewählt von João Pinharanda, dem Programmverantwortlichen des diesjährigen Themenschwerpunktes. Der Ehrengast von 1997, Lateinamerika, soll ab diesem Jahr als eigene Sektion fester Bestandteil der ARCO werden. 18 internationale Galerien bestritten die seit 1996 bestehende Sektion Cutting Edge, die in Spanien bisher weniger bekannte, junge Künstler vorstellt.

 

Eine Novität der ARCO'98 waren die Project-Rooms. Künstler verschiedener Nationalitäten präsentierten in 30 Kojen eigens für die Arco konzipierte Werke. Neun der Project-Rooms wurden von den portugiesischen Ehrengästen gestaltet. Rui Serra (Galerie arte periférica) beispielsweise überzeugte mit XII Mandamento - Anti Matéria (Recenseamento), indem er den begrenzten Raum der Koje seiner Malerei zudiensten stellte. 24 inmitten ihres Bewegungsablaufes erstarrte Silhouetten "weggebeamter" Personen konfrontierten den Besucher mit einer anderen Dimension. Lückenlos hängen die 146x114 cm großen Bilder nebeneinander. Nicht zuletzt durch die vorwiegend schwarz-rote Farbgebung scheinen sich die Wände auf den Betrachter zuzubewegen. Es gibt kein Entkommen. Jeder kann der Nächste sein in diesem Pulverisierungsprozeß.

 

Im Vergleich mit anderen europäischen Messen für Gegenwartskunst hebt sich die ARCO positiv hervor, indem sie das Wörtchen Gegenwart zum Programm hat. Man bedenke, es ist der 12. Februar 1998. Das Jahr ist ganze anderthalb Monate jung und der erstaunte Besucher entdeckt mehr als einmal die kaum durchgetrocknete Datierung '98 auf den Exponaten. Dazu kommt, daß die Klassische Moderne, Garant lukrativer Geschäfte oben genannter Kunstmessen, auf der ARCO relativ wenig Raum einnimmt. Leichtsinnig könnte man diese Risikofreude nennen, wenn man weiß, daß die ARCO nicht ohne Subventionen überleben kann; mutig hingegen, was den Einsatz für junge, kaum etablierte Kunst betrifft. Da konservative, auf Sicherheit bedachte Kunstsammler dabei jedoch nicht auf mehrfach validierte Urteile der Gilde der Kunsthistoriker in ihrer Funktion als Geschmacks- und Anlageberater zurückgreifen können, mochte so manch ein Scheck unausgefüllt bleiben. Die etwas wilden Prophezeihungen der Tageszeitung El Mundo haben sich wohl hinsichtlich der ARCO nicht erfüllt, die da mutmaßten, der Kunstmarkt biete dem Schwarzgeld, welches vor der Einführung des Euro sicher angelegt werden solle, eine Fluchtstätte. Für jene Kunstsammler bzw. -liebhaber, denen es weniger um Geldanlage oder hochdotierte Prestigeobjekte ging, fand sich bei einer mit rund zwölf Mark beginnenden und nach oben hin offenen Preispalette sicherlich etwas Passendes. Vorausgesetzt man sah den Wald vor lauter Bäumen.

 

Eine Sache, die auf Messen generell schwierig zu bewerkstelligen ist. Auf der Arco jedoch umgab zusätzlich einige der Kojen die Aura eines Krämerladens. Eine Kunstmesse ist zwar keine Ausstellung, doch sollten Galeristen die Kunst der guten Hängung auch auf auf Massenverkaufsveranstaltungen beherzigen. Es ist sicherlich gut gemeint, möglichst viele der eigenen Künstler präsentieren zu wollen, doch die Qualität der einzelnen Werke kann sich auf knappstem Raum und innerhalb eines Stil-Konglomerats schwerlich behaupten.

 

Dennoch: jedes Chaos hat seine Struktur. Die unübersichtlich geglaubte Flut an Kunstwerken ließ thematisch kohärente Stränge erkennen. Was die Kunst aus dem portugiesisch- und mehr noch aus dem spanischsprachigen Raum betrifft, zeigte sich als vorrangiges Thema der Plastiken und Installationen die Sexualität. Nun ist dies nichts Ungewöhnliches in der zeitgenössischen Kunst. Doch was erstaunte, war das Fehlen des in der internationalen Kunstszene sonst so gefeierten Gender-Surfing (wenngleich sich dieses hauptsächlich des Mediums der Fotografie bedient - doch auch dort war es nicht zu finden). Ob nun Pilar Albarracin Brüste als Inseln im Terrarium bzw. Aquarium inszenierte (Galerie Juana Aizpuru) oder Ernesto Pujol seine erschlafften Penis-Skulpturen gleich über mehrere Galerien Liebhaber finden ließ - eindeutige Geschlechtszuweisungen waren die Regel. Der kolumbianisch-mexikanische Frederico Uribe Botero setzte mit seinen oral-animierenden Torsi ironisch diverse Stereotypen der Frau (und/oder Mutter) als Geliebte um (Galerie Jacob Karpiro Alma). Mit der Frucht eindeutigen Geschlechtertreibens bzw. dem Wunsch nach ebendieser setzte sich Paloma Navares auseinander. Ebenfalls in mehreren Galerien konnte man ihre Babys sehen. In beleuchteten, übereinandergetürmten Plastikfässern tummelten sich reproduzierte Abbildungen des Jesuskindes von Bildern alter Meister. Oder Fotos von Säuglingen, eingepfercht in Salzstreuer, akkurat in einem Regal nebeneinandergereiht, die ganze Fruchtbarkeit nur gestört durch ein paar leere Salzstreuer dazwischen. Was die Malerei angeht, ist gerade das Nichteindeutige, das Diffuse und Schattenhafte der menschlichen Existenz bzw. Wahrnehmung Thema der jungen Künstler. Rui Serra und seine antimateriell anwesenden Protagonisten wurde bereits vorgestellt. Weitere Jäger des Unfaßbaren sind: José Maria Sicilia, Javier Baldeón, Equipo Realidad, Oscar Muñoz und Amador, um nur einige zu nennen. Politkunst war auf der ARCO, wie gehabt in der derzeitgen Kunstlandschaft, eine Rarität. Der Portugiese Leonel Moura, einer der einsamen Streiter auf diesem Feld, druckte auf eine in fünf Segmente geteilte Kopie von Picassos Guernica jeweils einen Buchstaben der ehemalig portugiesischen Kolonie T.I.M.O.R. (Galerie Quadrado Azul).

 

Die spanische Galeristenvereinigung schließlich hatte auch ein gemeinsames Thema in eigener Sache. Sie protestierten gegen ihren Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen internationalen Galerien, die in ihren Heimatländern nicht die volle Mehrwertsteuer für Kunstwerke abführen müssen und diese daher auch billiger anbieten können. Auf Plakaten und Aufklebern forderten sie die Herabsetzung der Mehrwertsteuer von den derzeit 16% auf 7%.