Ein bombiger Sommer

Kubas unsichere Zukunft

von Jeanette Erfurth

"Der kubanische Staats- und Parteichef Fidel Castro ist tot!" Diese Meldung hatte ein spanischsprachiger Fernsehsender in Miami Ende August verkündet und somit für viel Aufregung unter den dort ansässigen Exilkubanern und auf Kuba gesorgt. Der kubanische Parlamentschef Ricardo Alarcón dementierte jedoch dieses Gerücht noch am selben Tag. Am darauffolgenden Montag zeigte sich der kubanische Präsident Fidel Castro wieder in der Öffentlichkeit. Er sprach aus Anlaß eines Festaktes zum Beginn des neuen Schuljahres auf Kuba. Alle Berichte über seinen Tod wies er als verfrüht zurück. Die Gerüchte hatten dadurch Nahrung erhalten, daß Castro seit dem 4. April keine Rede mehr gehalten hatte und seit mehreren Wochen nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen worden war. Hinter den Spekulationen um einen besorgniserregenden Gesundheitszustand des 'Starken Mannes' steckt die immer wiederkehrende Frage: Wie lange regiert Fidel Castro noch?

 

Wie steht es nun mit einer Liberalisierung Kubas und mit dem "tropischen Sozialismus"? Wirtschaftlich hat sich das Land ausländischen Investitionen gegenüber in den vergangenen Jahren immer aufgeschlossener gezeigt. Man versucht, den Standort Kuba attraktiv zu gestalten. Maßnahmen dazu sind unter anderem Freihandelszonen und bilaterale Investitionsschutzabkommen. Das Land ist auf Devisen angewiesen, da nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des Ostblocks finanzielle Hilfsmittel ausbleiben. Die kubanische Wirtschaft ist im vergangenen Jahr nach Angaben der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) um 7,8 Prozent gewachsen. Derartige Zahlen seien seit den achtziger Jahren nicht erreicht worden. Allerdings geht der kubanische Wirtschaftsminister José Luis Rodríguez für 1997 von einem zurückhaltenden Wachstum aus. Dies hängt unter anderem mit einer abermals schlechten Zuckerernte und schwerwiegenden Verlusten in der Landwirtschaft durch den Wirbelsturm 'Lilly' zusammen. Das wichtigste Standbein für die dringend benötigten Deviseneinnahmen ist jedoch der Tourismus. Mit einem Wachstum von 15,3 Prozent in der ersten Jahreshälfte, im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, befindet dieser sich im Aufwind. Für das Gesamtjahr 1997 rechnet das kubanische Tourismusministerium mit 1,2 Millionen Besuchern. 1996 reisten rund eine Million Touristen nach Kuba und brachten dem Land Deviseneinnahmen in Höhe von umgerechnet 2,3 Milliarden DM. Ob der Tourismus in Kuba weiterhin so boomt, bleibt abzuwarten. Die "heile Welt" dieses preiswerten und immer beliebter werdenden Urlaubsziels hat tiefe Kratzer bekommen.

 

Kollektivierung des Tourismus

 

In diesem Sommer kam es in der Hauptstadt Havanna zu mehreren Sprengstoffanschlägen in namhaften Hotels (u.a. Nacional, Capri, Melia Cohiba) und dem populären Restaurant Bodeguita del Medio. Bei der letzten Serie von Anschlägen am 4. September wurde ein italienischer Tourist durch umherfliegende Glassplitter getötet. Die kubanischen Behörden haben mittlerweile einen Salvadorianer als Tatverdächtigen für die Bombenattentate festgenommen. Dieser gab zu, die Sprengsätze gelegt zu haben. Er habe für jeden Anschlag 4.500 US-Dollar erhalten. Den kubanischen Behörden zufolge gäbe es Hinweise darauf, daß die Kubanisch-Amerikanische Nationalstiftung (CANF), geleitet von Jorge Mas Canosa, in die Anschläge verwickelt sei. Sowohl die CANF als auch Washington kritisierten diese Anschuldigungen und forderten Beweise. Auch wenn bisher nicht geklärt ist, wer die Drahtzieher dieser Attentate sind, so steht zumindest fest: Fidels Kuba sieht sich zum ersten Mal mit dem Terrorismus konfrontiert. Zwar versicherte der stellvertretende Tourismusminister Eduardo Rodríguez de la Vega noch im Juli, daß Kuba ein sicheres Land sei und daß die Sicherheit der Touristen gewährleistet ist; daß eine solche Garantie jedoch nicht gegeben werden kann, zeigt das erste Todesopfer.

 

Aber nicht nur externe Einflüsse bestimmen das Bild eines nach wie vor repressiven Staates. Die kubanische Regierung hat ein neues Gesetz erlassen mit dem Ziel, den Individualtourismus stärker zu kontrollieren, da sich jeder fünfte Reisende außerhalb der staatlichen Kontrolle im Lande bewegt. Zwar ist Kuba an einer Förderung des Tourismus äußerst interessiert, aber bitte ohne ideologisch-kapitalistische Beeinflussung der eigenen Bevölkerung. Die Vermietung von Wohnraum auf privater Basis durch Kubaner an Touristen stellte bis dato für viele eine überlebensnotwendige Einnahmequelle dar und für Individualreisende eine gute Gelegenheit, den kubanischen Alltag per Familienanschluß hautnah kennenzulernen. Bisher hatte der kubanische Staat dieses illegale Vorgehen toleriert. Mit dem neuen Gesetz hat er diesen privatwirtschaftlichen Tourismuszweig allerdings zum Erliegen gebracht. Zwar können die Kubaner nun legal an Touristen vermieten, allerdings benötigen sie dazu eine Lizenz, deren Kosten sich monatlich auf 150 bis 435 US-Dollar belaufen. Bei einem monatlichen Durchschnittslohn von 12 US-Dollar ist dies nicht zu bezahlen. Die Möglichkeit eines Freund-schaftsbesuches bei kubanischen Familien sieht die neue Bestimmung nicht vor. Jedem Kubaner, der einen Ausländer bei sich beherbergt und der nicht im Besitz der benötigten Lizenz ist, wird illegale Vermietung unterstellt und ihm droht eine Strafe von 1.500 US-Dollar.

 

Die Absicht dieses Gesetzes ist klar: Man will zum einen privatwirtschaftliche Anstrengungen der Bevölkerung nicht ausufern lassen, denn man lebt ja in einem Land, in dem es offiziell keine soziale Ungleichheit gibt, zum anderen will man den "schädlichen" Einfluß der Touristen auf die Bevölkerung auf ein Minimum reduzieren.

 

Das Bild Kubas, das die Regierung in der Weltöffentlichkeit präsentieren will, ist natürlich ein anderes. Bestes Beispiel dafür war das 14. Weltjugendfestival, das vom 29. Juli bis zum 5. August '97 in Havanna stattfand, ein schon in Vergessenheit geratenes Festival der linken Jugend, das zuletzt 1989 in Nordkorea stattgefunden hatte. "Eine Lehrstunde der Transparenz, bei der man alle Tugenden und Schwächen offen zeigt", titulierte die Staatszeitung Granma. 11.235 Jugendliche aus 131 Ländern reisten an, um an politischen Debatten, sportlichen Wettkämpfen und Konzerten von kubanischen Salsagruppen teilzunehmen und so die kubanische Realität aus nächster Nähe kennenzulernen. Die zahlenmäßig größte Delegation kam aus den USA und auch Deutschland war mit über 400 Delegierten stark vertreten.

 

Lehrstunde der Transparenz

 

Um das Bild eines liberalen und funktionierenden Sozialismus vermitteln zu können, wurden die Delegierten bei ausgewählten regimetreuen kubanischen Familien untergebracht. Ein straffes Veranstaltungsprogramm hielt sie den ganzen Tag auf Trab und ließ ihnen keine Möglichkeit, auf eigene Faust die Hauptstadt und das Land zu erkunden. Bei den allabendlich an der Uferpromenade Malecón stattfindenden Salsakonzerten wurden die Festivalteilnehmer strikt von der einheimischen Bevölkerung getrennt.

 

Ein weiteres Beispiel dafür, wie liberal und weltoffen Kuba ist, zeigt der Skandal um die Salsaband La Charanga Habanera. Ihr wurde wegen eines Konzerts im Rahmen des Jugendfestivals, bei dem sich der Sänger der Gruppe zu anzüglichen und provozierenden Gesten hinreißen ließ, ein Auftrittsverbot von sechs Monaten erteilt. Die Live-Übertragung im Fernsehen wurde mitten im Konzert abgebrochen. Die verantwortlichen Radio- und Fernsehtechniker wurden mit Disziplinarmaßnahmen bestraft, da sie die Übertragung nicht früher abgebrochen hatten. Nach Angaben des staatlichen Musikinstituts fühlte sich das kubanische Publikum durch die Gesten und Worte der Gruppe beleidigt. La Charanga Habanera solle nun Zeit bekommen, ihr Programm und ihren Auftritt zu überdenken. Die Musiker gelten als Pioniere eines radikalen Stils und erfreuen sich gerade wegen ihrer Zügellosigkeit bei ihren kubanischen Fans größter Beliebtheit. Nur war es den kubanischen Offiziellen wohl nicht recht, daß sie eine derartige Veranstaltung auch vor den Augen der Delegierten des Festivals ablieferten. So wurde der Skandal dann offiziell auch erst bekannt, als das Festival bereits vorbei war und die Delegierten abgereist waren. Auch die in diesem Sommer zahlreichen Verhaftungen von Dissidenten und unabhängigen Journalisten deuten darauf hin, daß Kuba nicht ernsthaft an einer Öffnung oder Liberalisierung interessiert ist und daß es keine Presse- und Meinungsfreiheit gibt. Die Regimekritiker hatten eine Erklärung veröffentlicht, in der ein Referendum über die kubanische Verfassung direkte, freie und geheime Wahlen sowie Meinungs- und Versammlungsfreiheit forderte. Ihnen droht jetzt von Seiten des kubanischen Staates eine mehrjährige Haftstrafe wegen "feindlicher Propaganda". So wurde der kubanische Regimekritiker Hector Palacio Ruiz, der nach einem Interview für den ARD-Weltspiegel im Januar dieses Jahres verhaftet worden war und dem man Beleidigung des Staats- und Parteichefs vorwarf, jetzt zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.