Amália Rodrigues Königin des Fado

Uma estranha forma de vida

von António P.B.F. Dinis

Als ureigenste Musikschöpfung Portugals gehört der Fado weder zur Volksmusik noch zur Folklore. Er ist eine mündlich überlieferte, lebendig gebliebene Stadtmusik, die in Coimbra und den alten Vierteln Lissabons (Alfama, Bairro Alto und Mouraria) gesungen wird. Seine Ursprünge liegen im Dunkeln. Gewiß ist nur, daß er im 19. Jahrhundert zuerst im zwielichtigen Milieu zu hören war, bevor er von Studenten aufgegriffen und salonfähig gemacht wurde. Keine andere Persönlichkeit hat in diesem Jahrhundert den Fado so entscheidend geprägt wie Amália. 

 

Der Konzertsaal liegt im Dunkeln, nur ein schwaches Licht fällt auf die Bühne. Im Hintergrund stimmen die guitarristas ihre Instrumente ein letztes Mal. Dann ist es soweit. Ganz in schwarz gehüllt, einen seidenen Umhang mit langen Fransen um die Schulter geworfen, betritt sie würdevoll die Bühne. Gebannt folgt ihr jeder mit den Augen. Ein leichtes Kopfnicken und die ersten melancholischen Guitarrenakkorde füllen den Raum. Nach einigen Takten der inneren Sammlung hebt sie ihr Haupt und beginnt zu singen. Unvergeßliche Momente wie diese hat Amália Rodrigues beschert.

 

Empfänglich für Musik jeglicher Art singt sie bereits im zarten Kindesalter alles, was ihr zu Gehör kommt: cantigas populares ebenso wie Kinoschlager. Von den Nachbarn wird sie jedoch nicht verjagt, sondern trägt oft eine ganze Schürze voller Bonbons nach Hause. Das spielt sich im Herzen Lissabons ab, wo sie im Juli 1920, an den Tag kann sich keiner mehr so recht entsinnen, das Licht der Welt erblickt. In eine arme Familie geboren, muß sie schon früh mithelfen, die schmale Haushaltskasse aufzubessern. Sie begleitet zusammen mit ihrer Schwester Celeste die Mutter an den Cais da Rocha, wo sie Obst verkaufen. Abwechslung vom tristen Alltag bieten die marchas populares. 1936 wird sie auserkoren, als Solistin dem Stadtteil Alcântara vorzustehen. Ihre musikalische Begabung beginnt sich herumzusprechen. So wird sie überredet, an einem Fado-Wettbewerb teilzunehmen. In den Vorausscheidungen macht Amália jedoch soviel Wirbel, daß sich die übrigen Teilnehmerinnen weigern, gegen sie anzutreten. Um die Durchführung des Wettbewerbes nicht zu gefährden, beschließen die Organisatoren, ihr die weitere Teilnahme zu verweigern. Wie auch immer man diese Begebenheit beurteilen mag, eines steht fest: Ihrem künstlerischem Werdegang konnte dies keinen Abbruch tun. 1939 holt sie José Soriano, Geschäftsführer des berühmten Lokals Retiro da Severa, in sein Haus.

 

Innerhalb von wenigen Wochen avanciert sie zur "revelação da actualidade”, ja sie überflügelt sogar etablierte Interpreten wie Alfredo Marceneiro, Ercília Costa und Berta Cardoso. Andere Fado-Lokale fragen an, ob sie nicht auch bei ihnen auftreten möchte. Darunter sind der Solar de Alegria, die Cervejaria Luso, später auch die Adega Machado. Es dauert nicht lange, bis ihr Ruhm auch über die Landesgrenzen hinausgelangt. 1943 wird sie nach Madrid eingeladen. In ihrem Repertoire finden sich nicht nur Fadostücke, sondern auch spanische Lieder aus dem Film Carmen de la Triana. Auch wenn Traditionalisten die Nase rümpfen, Amálias Ruf als fadista hindert sie nicht daran, Lieder anderer Nationen zu singen. Im Laufe ihres Lebens interpretierte sie Flamencostücke, italienische und französische Schlager, mexikanische rancheras, ja selbst Jazzstandards wie Summertime von Gershwin.

 

Die nächsten Auslandskonzerte führen sie nach Brasilien. Dort nimmt sie ihre ersten Schallplatten auf. Außerdem entsteht während der zweiten Tourneereise 1945 einer ihrer bekanntesten Fados:Ai Mouraria. Er drückt den Schmerz einer verschmähten Liebe aus, die im alten Maurenviertel Lissabons aufblühte.

 

Ai Mouraria da velha rua d´Alfama 

Onde eu um dia deixei presa a minha alma, 

Por ter passado mesmo ao meu lado um certo fadista 

De cor morena, boca pequena e olhar trocista.

Ai Mouraria do homem do meu encanto, 

Que me mentia mas que eu adorava tanto, 

Amor que o vento como um lamento leva consigo 

Mas que ainda agora e a toda a hora trago comigo. 

Ai Mouraria dos rouxinóis nos beirais, 

dos vestidos cor-de-rosa nos pregões tradicionais.

Ai Mouraria, das procissões a passar, 

da Severa em voz saudosa na guitarra a chorar. 

 

Es folgen weitere Konzertreisen durch Europa und Übersee, auf denen sie Künstler wie Edith Piaf und die gitana Lola Flores kennenlernt.Als sie dann 1956 im L´Olympia, dem berühmtesten Variététheater von Paris, auf der Bühne steht, ist ihre internationale Karriere besiegelt. Seitdem gehört sie dort zu den Publikumslieblingen. Doch sie wird nicht nur in den romanischsprachigen Ländern gefeiert. Selbst das fernöstliche Japan findet Gefallen an ihrer Musik. Anscheinend berührt ihre Interpretationskunst so unmittelbar, daß Sprachbarrieren zu keinen Hindernissen werden. In aller Herren Länder konnte sie deswegen als Vermittlerin portugiesischer Kultur wirken. Insbesondere der saudade, jener sehnsuchtsvollen Melancholie, die den Portugiesen eigen ist, lieh sie ihre Stimme. In quirlig-heiteren Stücken kommen dagegen auch andere Charakterzüge zur Sprache, z.B. die Gastfreundschaft der armen Landbevölkerung in Uma Casa Portuguesa: 

 

Numa casa portuguesa fica bem

Pão e vinho sobre a mesa.

E se à porta humildemente bate alguém

Senta-se à mesa com a gente.

Fica bem esta franqueza fica bem

Que o povo nunca desmente.

Uma alegria de pobreza está nesta grande

riqueza De dar e ficar contente.

Quatro paredes caiadas, um cheirinho a alecrim,

Um cacho de uvas doiradas, duas rosas no jardim,

Um São José de azulejos mais o sol da primavera,

Uma promessa de beijos, dois braços à minha espera,

É uma casa portuguesa com certeza,

É com certeza uma casa portuguesa.

...

 

Seitensprünge in Film und Theater

 

Amália tritt jedoch nicht nur als Sängerin in Erscheinung. In den 40er Jahren bieten ihr Revuetheater Rollen an. Es bleibt dabei nicht aus, daß sie vorwiegend fadistas interpretiert, wie in dem Stück A Rosa Cantandeira. Das bedeutsamste Ereignis aus dieser Zeit ist sicherlich die Begegnung mit Frederico Valério. Dieser junge Komponist wird ihr, d.h. ihrer Stimme, Fados auf den Leib schreiben. Nicht nur das bereits erwähnte Ai Mouraria, sondern auch der Fado do Ciúme und Que Deus me perdoe gehören dazu.

 

Ihr Filmdebut gibt sie 1946 mit Capas Negras. In stärkerem Maße als zuvor ist nun neben ihrer musikalischen auch ihre schauspielerische Begabung gefragt. Da sie die Erwartungen erfüllen kann, die in sie gelegt werden, treten weitere Filmemacher an sie heran. Amália erlangt dadurch einen größeren Bekanntheitsgrad, der sich auf ihre musikalische Laufbahn günstig auswirkt. Eine Nebenrolle in dem französischen Film Les Amants du Tage von 1954 ebnet ihr beispielsweise den Weg nach Paris.

 

Im übrigen Europa verhilft ihr der englische Dokumentarfilm April in Portugal zu einem Namen. Dieser Film läßt den Fado Coimbra zu einem der populärsten überhaupt werden. Er ist eine Hommage an die altehrwürdige Universitätsstadt, in der sich die Studenten nicht nur des trockenen Vorlesungstoffes befleißigen. Wie sollte einem der Sinn in der Amor geweihten Stadt nicht nach anderem stehen?

 

Coimbra é uma lição de sonho e tradição,

O vento é uma canção e a lua a faculdade.

O livro é uma mulher, só passa quem souber

E aprende-se a dizer saudade.

Coimbra do choupal 

ainda és capital

do amor em Portugal, ainda.

Coimbra onde uma vez

com lágrimas se fez

a história dessa Inês tão linda.

Coimbra das canções

tão meiga que nos pões

os nossos corações a nu.

Coimbra dos doutores

para nós os cantores

uma fonte de amores és tu.

 

Neue Horizonte 

 

Nach der legendären Maria Severa Onofriana, die im vergangenen Jahrhundert lebte, ist Amália die zweite Sängerin, die dem Fado neue Horizonte eröffnete. Ihre Auftritte, in denen sie immer ganz in schwarz gekleidet erschien, haben Geschichte gemacht. Ebenso verblüffte ihre hohe Verzierungskunst, die an maurische Einflüsse erinnert. Von ihrer Persönlichkeit ließen sich hochkarätige Komponisten und Dichter inspirieren, die ihr eine ganze Reihe von neuen Stücken schrieben. Zu der ersten Gruppe gehören Frederico Valério, Alberto Janes und Alain Oulman. Zahlreicher sind die zeitgenössischen Dichter, mit denen sie zusammenarbeitete. Diese bereicherten das volkslyrische Repertoire um anspruchsvollere Liedtexte. Genannt seien nur Pedro Homen de Mello und David Mourão-Ferreira. Allein dieser widmete ihr mehr als 20 Gedichte, u.a. Solidão, einen ihrer ergreifendsten Fados. Besungen wird die Enttäuschung über eine nicht erwiderte Liebe. Die Liebende ist in ihrem Leid allein gelassen, selbst der Himmel verschließt sich ihrer Klage.

 

Solidão de quem tremeu

Uma tentação do céu e desencanto

Eis o que o céu me deu

Serei bem eu sob este véu de pranto

Sem saber se choro algum pecado

a tremer imploro o céu fechado

...

 

Amália griff sogar auf Lyrik verstorbener Meister zurück. In einem Fall sorgte sie für viel Aufhebens. Sie ließ Gedichte Luís Vaz de Camões vertonen, der nicht nur einer der bedeutendsten Dichter der ausgehenden Renaissance ist, sondern das portugiesische Nationalepos schuf: Os Lusíadas. Darin wird der Heldenmut der kleinen Nation im Zeitalter der Entdeckungsfahrten gepriesen. Sein angeblicher Todestag, der 10. Juni 1580, wurde zum Nationalfeiertag erkoren.

 

Amálias Verwegenheit rief sogleich kritische Stimmen auf den Plan. Durfte der geheiligte Nationaldichter vom Podest geholt und durch den Fado populär gemacht werden? Bedenkt man, daß sich dies 1965 ereignete, also während der Salazar-Diktatur, dann wird die Brisanz erst richtig deutlich. Jedenfalls konnte nur sie so etwas wagen.

 

1989 feierte Amália ihre 50jährige Bühnenpräsenz. Illustre Gäste wie Federico Fellini, Mário Vargas Llosa und Sophia Loren gratulierten ihr dazu. Das Ende ihrer Karriere war es aber nicht. Solange ihre Gesundheit mitspielt, möchte sie weiterhin singen. Immerhin hat der Fado immer ihr Leben bestimmt. Doch was ist eigentlich Fado? Auf diese Frage antwortete sie in einem ihrer letzten Interviews:

 

"O fado é mistério, ninguém pode explicar o que ele é. É mistério, é muita coisa que eu sinto dentro de mim, que trago comigo, até parece que sou casada com o fado. Eu explico desta maneira, que é a minha, mas ninguém pode dizer que o fado é isto ou aquilo, ninguém.”

 

Plattentips

  • Amália Rodrigues. The Best of Fado
  • Sounds of the World 1992, DBG 53026
  • Amália Rodrigues. Lisboa à Noite
  • Planet Records 1992, P-6002 CD
  • Amália Rodrigues, 8 CDs zu ihrem 50. Bühnenjubiläum 1989