Von heute auf morgen ins Exil oder ein Leben in ständiger Angst?

DER (NEUE) ALLTAG IN ZENTRALAMERIKA

 

von Mareike Bödefeld

 

Nicaragua, El Salvador und Guatemala durchlaufen eine traurige Zuspitzung der Menschenrechts- und Rechtsstaatslage. Nicaragua lässt in einem Hau-Ruck-Verfahren sämtliche nationale und internationale NGOs schließen, auch jene, die “nur” humanitäre Hilfe leisten. El Salvador ist seit März in einem Ausnahmezustand mit immer neuen Begründungen und Guatemala jagt gegen Korruption ankämpfende Anwält/innen und Richter/innen ins Exil.  Wie weiter in Zentralamerika?

 

©Alexander Svensson
©Alexander Svensson

Themen aus Zentralamerika sind in Deutschland und Europa oftmals wenig bis gar nicht präsent. Doch im sogenannten tríangulo norte ist ein besorgniserregender Einschnitt in die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit sowie in die Rechtsstaatlichkeit zu beobachten. Wie hat sich die Region in den letzten Monaten entwickelt und warum flüchten immer mehr bekannte Gesichter ins Exil?

 

In El Salvador herrschte von 1980 bis 1991 ein Bürgerkrieg, der 70.000 Tote forderte, den nachfolgenden Regierungen gelang der soziale Wandel nicht. Der seit Juni 2019 regierende Präsident Nayib Bukele höhlt die Rechtsstaatlichkeit immer weiter aus: so ließ er 2020 das Parlament mit Militärs besetzen, um höhere Verteidigungsausgaben durchzukriegen, und Richter/innen der Verfassungsgerichtskammer des Obersten Gerichtshofs durch regierungsfreundliche Personen austauschen. Die alte Besetzung wurde unbequem, da sie gegen Korruption ermittelt hatte. Bukele kündigte einen Kampf gegen zivilgesellschaftliche Organisationen an. Ein Vorschlag für ein sogenanntes "ausländisches Agentengesetz” konnte nach internationalem Protest vorläufig gestoppt werden. Alle Einnahmen aus dem Ausland hätten zu 40% besteuert werden müssen. Seit März gilt in El Salvador ein Ausnahmezustand. Dieser wurde nach einer dreitägigen Mordserie mit 87 Toten deklariert. Die Gang Mara Salvatrucha 13 erklärte sich als verantwortlich. Weitere Gelder für Polizei und Militär wurden im Zuge des Ausnahmezustands genehmigt, über 50.000 Menschen sind schon inhaftiert. Das Recht auf Versammlungsfreiheit sowie das Recht auf Unverletzlichkeit privater Kommunikation wurde ohne vorherige richterliche Genehmigung eingeschränkt. 

In Guatemala herrschte 36 Jahre lang ein Bürgerkrieg - mit Unterzeichnung der Friedensverträge wurde auch die Absicht erklärt, die grassierende Straflosigkeit im Land bekämpfen zu wollen. Dieser Prozess begann erst 2007, als die Internationale Kommission gegen Straffreiheit, ein Instrument der Vereinten Nationen, ihre Arbeit aufnahm. Die Kommission war überaus erfolgreich, deckte sie doch auf, dass der 2015 amtierende Präsident Otto Perez Molina tief im Korruptionsnetzwerk mit einer Vielzahl von Schmiergeldern steckte. Es gelang der Kommission auch, rund 120 Fälle vor Gericht zu bringen, Tatbestand: organisiertes Verbrechen. Als sich die Kommission immer mehr die wirtschaftliche Elite vorknüpfte wurde es dem sogenannten “Pakt der Korrupten” zu bunt - die Kommission wurde schließlich 2019 des Landes verwiesen. Aktuell befinden sich im Parlament, in den obersten Gerichten und anderen wichtigen Organen immer mehr regierungstreue Persönlichkeiten. Zuletzt wurden die Generalstaatsanwältin Consuelo Porras, der Menschenrechtsobman José Alejandro Cordóva sowie Waler Mazarriegos, neuer Rektor der einzigen öffentlichen Universität des Landes (Universität San Carlos), neu bzw. wiedergewählt. Alle drei in Verfahren, die vielfach als nicht transparent kritisiert worden sind. Sie alle vertreten die Interessen der guatemaltekischen Elite. Richter/innen und Anwält/innen, die sich gegen Korruption und Straflosigkeit einsetzen, wie beispielsweise Juan Francisco Sandoval (ehemaliger Leiter der Sonderstaatsanwaltschaft gegen die Straflosigkeit), der die Annahme von Schmiergeldern in Millionenhöhe in einem russischen Teppich durch den Präsidenten ermittelte, müssen aus Sicherheitsgründen das Land verlassen. Auch für investigative Journalist/innen, die darüber berichten, wird die Arbeit immer gefährlicher.

 

In Nicaragua wurden die im Jahre 2018 stattfindenden Demonstrationen gegen höhere Steuern gewaltsam niedergeschlagen: es gab mehr als 300 Tote und mehr als 2.000 Verletzte. Die Repression durch den Staat nimmt seitdem stetig zu. Stand Juni 2022 sind 750 zivilgesellschaftliche Organisationen im Land verboten worden, es wird ihnen mangelnde finanzielle Transparenz vorgeworfen. Seit Oktober 2020 müssen alle aus dem Ausland stammenden Gelder registriert werden. 

Daniel Ortega ließ sich im November 2021 erneut zum Präsidenten “wählen”. Die Abstimmung war keineswegs demokratisch: bereits im Dezember 2020 wurde das Ley de Defensa de los Derechos del Pueblo a la Independencia, la Soberania y Autodeterminación para la Paz verabschiedet, dessen Ziel die erschwerte Teilnahme Oppositioneller an der Wahl war,. Tatsächlich wurden sieben führende Oppositionspolitiker/innen und Anwärter/innen auf das Präsident/innenamt verhaftet. Ebenfalls verhaftet wurden 33 Journalist/innen, Unternehmer/innen und weitere Oppositionelle. Viele von ihnen befinden sich in Isolationshaft. Mehr als die Hälfte der nicaraguanischen Bevölkerung hätte für eine/n der inhaftierten Kandidat/innen gestimmt. 

Es wird geschätzt, dass rund 150.000 Nicaraguaner/innen im costa-ricanischen Exil leben. 

 

Verteidigung der Rechte oder das Land verlassen?  

Diejenigen, die sich in Zentralamerika beispielsweise für das Recht auf sauberes Wasser in ihrem Territorium oder in ihrer Gemeinde einsetzen, erhalten oftmals Morddrohungen oder werden unter fadenscheinigen Begründungen inhaftiert. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der guatemaltekische, indigene Menschenrechtsverteidiger Bernardo Caal Xol (setzt sich für die Maya Q’eqchi’ ein, in deren Gebiet ein Wasserkraftwerkprojekt durchgeführt werden soll), der nach vier Jahren nun wieder auf freiem Fuß ist. Ihm wurde Diebstahl vorgeworfen - doch dafür gibt es keine Beweise. Die Femizidraten und Angriffe und Morde an Transpersonen sind in Zentralamerika erschreckend hoch. Als Frau in El Salvador eine Fehl- oder Totgeburt zu erleiden bedeutet eine Haftstrafe mit dem Vorwurf des Kindsmords. Jede Verfassungsänderung zum Artikel 133 des Strafgesetzbuchs wird von Seiten der Regierung abgelehnt.

Auch die Pressefreiheit in El Salvador ist in Gefahr: mehrere Journalist/innen sind mithilfe des Spionageprogramms Pegasus ausgespäht worden, darüber hinaus gibt es mehr als hundert Übergriffe auf Journalist/innen.

 

All diese Entwicklungen führen dazu, dass - insbesondere die Jurist/innen, Journalist/innen und die politisch aktive Bevölkerung - das Exil als einzigen Ausweg sieht, um nicht inhaftiert zu werden. Viele von ihnen, insbesondere aus Nicaragua, suchen dabei das Exil in Costa Rica – vor allem die nicaraguanische Exilgemeinschaft ist hier mittlerweile gut vernetzt. Insbesondere Anwält/innen und Richter/innen, haben es schwer, denn sie verlieren ihren Status im Land und müssen sich diesen im Exil neu erarbeiten.

 

Aufgrund von fehlenden Möglichkeiten des sozial-ökonomischen Aufstiegs, mangelndem Zugang zu höherer Bildung sowie Konflikten durch beispielsweise Bergbauprojekte und immer drastischeren Auswirkungen des Klimawandels wie Dürre oder Überschwemmungen migrieren immer mehr Zentralamerikaner/innen in Richtung USA. Doch viele von ihnen erreichen die Grenze gar nicht erst. Oftmals hängen sie in Mexiko fest und der Traum von den USA erfüllt sich nicht wie erhofft.

 

 


Mareike Blödefeld ist Redakteurin bei matices.